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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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denn aus den erhalten gebliebenen Dokumenten folgt, dass sie sehr billig waren. Trotzdem haben die örtlichen Dichter sie besungen. Heute wächst in Keadwen überhaupt kein Wein. Weil die Winter dort im Unterschied zu früher strengen Frost bringen, und strenger Frost tötetdie Reben. Er bremst nicht nur das Wachstum, sondern tötet einfach. Vernichtet.«
    »Ich verstehe.«
    »Ja.« Nimue überlegte. »Was wäre noch hinzuzufügen? Vielleicht, dass der Schnee in Talgar Mitte November fällt und sich mit einer Geschwindigkeit von über fünfzig Meilen pro Tag nach Süden ausbreitet? Dass es oft Ende Dezember, Anfang Januar an der Alba schneit, wo noch vor hundert Jahren Schnee eine Sensation war? Und dass bei uns im April der Schnee taut und das Eis auf den Seen schmilzt, weiß doch jedes Kind! Dabei heißt es doch: ›April, April, der weiß nicht, was er will.‹ Hat dich das nie gewundert?«
    »Nicht besonders«, gestand Condwiramurs. »Aber ich verstehe, was du meinst. Früher einmal war im April das Wetter wechselhaft wie jetzt erst im Mai.«
    »Früher blühten im April schon die Blumen, und wenn Niederschlag kam, dann meistens als Regen. Das ist gerade mal hundert, hundertzwanzig Jahre her. So gut wie gestern, Mädchen. Itlina hatte absolut recht. Ihre Prophezeiung trifft ein. Die Welt wird unter einer Eisschicht umkommen. Die Zivilisation wird durch die Schuld der Vernichterin umkommen, die einen Weg zur Rettung öffnen konnte, die die Möglichkeit dazu hatte. Wie aus der Legende bekannt, hat sie das nicht getan.«
    »Aus Gründen, die die Legende nicht erklärt. Oder die sie mit Hilfe nebelhafter und naiver moralischer Erwägungen erklärt.«
    »Das ist wahr. Doch die Tatsache bleibt. Tatsache ist die Weiße Kälte. Die Zivilisation der Nördlichen Halbkugel ist zum Untergang verurteilt. Sie wird unter dem Eis des wachsenden Gletschers verschwinden, unter ewiger Gefrornis und Schnee. Es besteht jedoch kein Grund zur Panik, denn es wird ein Weilchen dauern, bis es so weit ist.«
    Die Sonne war vollends untergegangen, von der Fläche des Sees war der blendende Widerschein verschwunden. Jetzt legte sich ein Streifen weicheren, sanfteren Lichts auf das Wasser.Über dem Turm Inis Vitre ging der Mond auf, hell wie ein mittendurch gehauener goldener Taler.
    »Wie lange?«, fragte Condwiramurs. »Wie lange wird es deiner Meinung nach dauern? Das heißt, wie viel Zeit haben wir?«
    »Viel.«
    »Wie viel, Nimue?«
    »An die dreitausend Jahre.«
    Auf dem See, im Boot, bewegte der Fischerkönig knarrend ein Ruder und begann zu fluchen. Condwiramurs seufzte laut.
    »Du hast mich ein wenig beruhigt«, sagte sie nach einer Weile. »Aber nur ein wenig.«
     
    Der nächste Ort war einer der widerwärtigsten, die Ciri besucht hatte, er lag mit Sicherheit unter den führenden zehn, und zwar in der Spitzengruppe der zehn.
    Es war ein Hafen, ein Hafenkanal, sie sah Boote und Galeeren an Kais und Pfählen, sie sah einen Wald von Masten, sah Segel, die in der reglosen Luft schwer herabhingen. Ringsum kroch Rauch, stieg auf – Schwaden von stinkendem Rauch.
    Der Rauch erhob sich auch aus den schiefen Bruchbuden, die am Kanal standen. Von dorther war das laute, erstickte Weinen eines Kindes zu hören.
    Kelpie begann zu schnauben, warf den Kopf heftig hin und her, wich zurück, stampfte mit den Hufen auf dem Pflaster. Ciri schaute nach unten und erblickte leblose Ratten. Sie lagen überall. Tote, unter Qualen gekrümmte Nagetiere mit blassen rosigen Pfötchen.
    Etwas stimmt hier nicht, dachte sie und spürte, wie Entsetzen sie erfasste. Etwas stimmt hier nicht. Fliehen. So schnell wie möglich fliehen!
    Unter aufgehängten Netzen und Leinen saß kerzengerade ein Mann mit zerrissenem Hemd und auf die Schulter geneigtem Kopf. Ein paar Schritt weiter lag ein anderer. Sie sahen nicht aus, als ob sie schliefen. Sie zuckten nicht einmal, als Kelpies Hufeüber die Steine gleich neben ihnen klapperten. Ciri neigte den Kopf, während sie unter von Schnüren herabhängenden Lumpen hindurchritt, von denen ein säuerlicher Geruch nach Schmutz ausging.
    An der Tür einer der Bruchbuden war ein mit Tünche oder weißer Farbe gemaltes Kreuz zu sehen. Vom Dach stieg ein schwarzer Rauchfaden gen Himmel. Das Kind weinte immer noch, jemand schrie in der Ferne, jemand ein Stück näher hustete und röchelte. Ein Hund heulte.
    Ciri fühlte ein Kribbeln an der Hand. Sie schaute hin.
    Ihre Hand war wie mit Kümmel mit schwarzen Körnchen übersät. Mit

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