Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Wange.
»Vertraue mir, Ciri!«, rief Nimue. »Du kennst mich doch! Du hast mich schon einmal gesehen!«
»Ich erinnere mich«, hörten sie. »Ich vertraue dir. Danke.«
Sie sahen, wie die vorangetriebene Stute mit leichtem und tänzerischemSchritt in den Lichtschein des Portals lief. Ehe das Bild verschwamm und zerfloss, sahen sie, wie das grauhaarige Mädchen ihnen winkte, im Sattel zurückgewandt.
Und dann war alles verschwunden. Die Fläche des Sees beruhigte sich allmählich, der Streif Mondlicht glättete sich wieder.
Es war so still, dass sie den röchelnden Atem des Fischerkönigs zu hören glaubten.
Condwiramurs hielt die in die Augen drängenden Tränen zurück und umarmte Nimue fest. Sie fühlte, wie die kleine Zauberin zitterte. So blieben sie eine Zeitlang. Wortlos. Dann wandten sich beide zu der Stelle um, wo das Weltentor verschwunden war.
»Viel Erfolg, Hexerin!«, riefen sie unisono. »Glück auf den Weg!«
Unweit von jener Aue, dem Ort der erbitterten Schlacht, in der beinahe die ganze Macht des Nordens auf nahezu sämtliche Kräfte des Nilfgaarder Aggressors traf, lagen zwei Fischerdörfchen: Altenpupen und Brenna. Da aber damals Brenna bis auf den Grund niedergebrannt war, pflegte man zunächst von der »Schlacht bei Altenpupen« zu sprechen. Heute allerdings sagt das niemand mehr, es heißt »die Schlacht bei Brenna«, und dafür gibt es zwei Gründe. Primo ist das wiederaufgebaute Brenna heute eine große und prosperierende Siedlung, Altenpupen indes hat der Zeit nicht widerstanden, und seine Spuren sind von Brennnesseln, Quecken und Kletten überwuchert. Secundo passte dieser Name irgendwie nicht zu jenem zugleich ruhmreichen, unvergesslichen und tragischen Kampf. Denn wie soll das gehen: hier eine Schlacht, in der über dreißigtausend Menschen ihr Leben ließen, und da nicht nur Pupe, sondern auch noch alte. Daher ist es im ganzen historischen und militärischen Schrifttum üblich geworden, ausschließlich von der Schlacht bei Brenna zu schreiben – sowohl bei uns als auch in den Nilfgaarder Quellen, von denen es notabene wesentlich mehr als von unseren gibt.
Hochwürden Jarre von Ellander der Ältere,
Annales seu Chronicae Incliti Regni Temeriae
Das achte Kapitel
Kadett Fitz-Oesterlen, die Bewertung lautet ›ungenü gend ‹. Bitte setzen. Ich möchte Eure Aufmerksamkeit darauf lenken, dass ein Mangel an Wissen über die berühmten und wichtigen Schlachten in der Geschichte des eigenen Vaterlandes für jeden Patrioten und guten Staatsbürger kompromittierend ist, im Falle eines künftigen Ofiziers jedoch ist das einfach ein Skandal. Ich will mir eine weitere kleine Anmerkung erlauben, Kadett Fitz-Oesterlen. Seit zwanzig Jahren, das heißt, seitdem ich Dozent an dieser Schule bin, kann ich mich keines Patentexamens entsinnen, bei dem nicht Fragen nach der Schlacht bei Brenna gestellt worden wären. Ignoranz in dieser Hinsicht durchkreuzt daher praktisch die Chancen auf eine Karriere beim Militär. Aber wenn man Baron ist, braucht man ja kein Offizier zu sein, man kann sich in der Politik versuchen. Oder in der Diplomatie. Was ich Euch von ganzem Herzen wünsche, Kadett Fitz-Oesterlen. Wir aber wenden uns wieder Brenna zu, meine Herren. Kadett Puttkammer!«
»Hier!«
»Zur Karte bitte. Bitte fortzufahren. Von der Stelle an, wo dem Herrn Baron der Redefluss stockte.«
»Zu Befehl! Der Grund, aus dem sich Feldmarschall Menno Coehoorn entschloss, zu manövrieren und rasch nach Westen zu marschieren, waren die Meldungen der Aufklärung, dass dieArmee der Nordlinge zum Entsatz der belagerten Festung Mayena anrückt. Der Marschall beschloss, den Nordlingen den Weg zu verlegen und sie zu einer Entscheidungsschlacht zu zwingen. Zu diesem Zweck teilte er die Kräfte der Heeresgruppe ›Mitte‹. Einen Teil der Kräfte ließ er bei Mayena stehen, mit den restlichen Kräften brach er im Eilmarsch nach …«
»Kadett Puttkammer! Ihr seid kein schöngeistiger Schriftsteller. Ihr seid ein künftiger Offizier! Was soll die Bezeichnung ›die restlichen Kräfte‹? Gebt mir bitte die exakte
ordre de bataille
der Stoßgruppe Marschall Coehoorns an. Und benutzt dazu die militärische Terminologie!«
»Jawohl, Herr Rittmeister. Feldmarschall Coehoorn hatte zwei Armeen unter seinem Kommando: Die Vierte Reiterarmee unter der Führung von Generalmajor Markus Braibant, des Patrons unserer Schule …«
»Sehr gut, Kadett Puttkammer.«
»Beschissner Schleimer«, zischte von seiner
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