Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
erblicken würde.
     
    Jarre hielt die von der Nase rutschende Brille fest, las den ganzen Textabschnitt noch einmal durch, seufzte, rieb sich die kahle Stirn, worauf er zum Schwamm griff, ihn ein wenig ausdrückte und den letzten Satz auswischte.
    Der Wind rauschte in den Lindenblättern, die Bienen summten. Die Kinder, wie sie nun einmal sind, versuchten einander zu überschreien.
    Gegen den Fuß des Greises stieß ein über den Rasen herantrudelnder Ball. Noch ehe er sich bücken konnte, schwerfällig und ungeschickt, wie er war, schoss irgendeins von seinen Enkelkindern vorüber wie ein Wolfsjunges und packte den Ball im vollen Lauf. Der Tisch, angestoßen, begann zu schwanken. Jarre bewahrte mit der rechten Hand das Tintenfass vor dem Umkippen, mit dem Stumpf des linken Arms hielt er die Papierbögen fest.
    Die Bienen summten, schwer vom gelben Blütenstaub der Akazien.
    Jarre schrieb weiter.
     
    Der Morgen war trübe, doch die Sonne drang durch die Wolken und erinnerte mit ihrem Stand deutlich an die verstreichenden Stunden. Wind kam auf, die Fahnen begannen zu flattern und zu knattern wie vielköpfige Vogelschwärme, die zum Flug aufsteigen. Nilfgaard aber stand unbewegt, dass sich schon jedermann zu wundern begann, warum Marschall Coehoorn seinen Leuten nicht den Angriff befahl   …
     
    »Wann?« Menno Coehoorn blickte von den Karten auf, ließ den Blick über seine Kommandeure schweifen. »Wann ich den Angriff befehlen werde, fragt ihr?«
    Niemand antwortete. Menno musterte seine Kommandeure rasch. Am angespanntesten und nervösesten wirkten die, die in Reserve bleiben sollten – Elan Trahe, der Befehlshaber der Siebten Daerlanischen, und Kees van Lo von der Brigade »Nauzicaa«. Sichtlich nervös war auch Ouder de Wyngalt, der Lageradjutant des Marschalls, der die geringste Aussicht auf eine Beteiligung an den Kampfhandlungen hatte.
    Diejenigen, die als Erste losschlagen sollten, wirkten ruhig, ja geradezu gelangweilt. Markus Braibant gähnte. Generalleutnant Rhetz de Mellis-Stoke bohrte sich mit dem kleinen Finger im Ohr und betrachtete alle naselang den Finger, als erwarte er tatsächlich, darauf etwas zu entdecken, das der Beachtung wert war. Stabsoberst Ramon Tyrconnel, der junge Kommandeur der Division »Ard Feainn«, pfiff leise vor sich hin, wobei er einen nur ihm bekannten Punkt am Horizont fixierte. Stabsoberst Liam aep Muir Moss von der Division »Deithwen« blätterte in dem Poesiebändchen, das er immer dabeihatte. Tibor Eggebracht von der Ulanendivision »Alba« kratzte sich mit dem Ende der Reitgerte am Hals.
    »Den Angriff beginnen wir«, sagte Coehoorn, »sobald die Patrouillen zurück sind. Mich beunruhigen diese Anhöhen im Norden, meine Herren Offiziere. Bevor wir zuschlagen, muss ich wissen, was sich hinter diesen Höhen befindet.«
     
    Lamarr Flaut hatte Angst. Er hatte entsetzliche Angst, sie kroch ihm durch die Gedärme, er schien mindestens zwölf glitschige, von stinkendem Schleim bedeckte Aale im Wanst zu haben, die fieberhaft nach einer Öffnung suchten, durch die sie entkommen könnten. Vor einer Stunde, als die Patrouille die Befehle empfangen hatte und aufgebrochen war, hatte Flaut im Stillen darauf gehofft, die Morgenkühle werde die Unruhe vertreiben,die Furcht der Routine weichen, dem eingeübten Ritual, dem harten und strengen Dienstzeremoniell. Er hatte sich getäuscht. Jetzt, da eine Stunde vergangen war und sie an die fünf Meilen zurückgelegt hatten, sich weit, bedrohlich weit von den eigenen Leuten entfernt befanden, tief, gefährlich tief im Feindesland, nahe, tödlich nahe an einer unbekannten Gefahr – jetzt erst zeigte die Angst, wozu sie imstande war.
    Sie hielten am Rande eines Tannenwaldes, hielten sich sorgsam in den großen Wacholderbüschen, von denen die Gegend bewachsen war. Vor ihnen, hinter einem Gürtel niedriger Nadelbäumchen, erstreckte sich ein weiter Talkessel. Dunst zog über die Spitzen der Gräser.
    »Niemand da«, stellte Flaut fest. »Keine Menschenseele. Kehren wir um. Wir sind schon ein bisschen zu weit.«
    Der Wachtmeister schaute ihn scheel an. Weit? Sie waren kaum eine Meile geritten. Wobei sie sich zudem hingeschleppt hatten wie lahme Schildkröten.
    »Es könnte sich lohnen«, sagte er, »noch einen Blick hinter diese Anhöhe zu werfen, Herr Leutnant. Von dort aus, denke ich, werden wir bessere Sicht haben. Weit, über beide Täler. Wenn da jemand kommt, sehen wir ihn unbedingt. Also was? Springen wir hin, Herr? Es sind nur ein

Weitere Kostenlose Bücher