Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
yn Carn aep Morvudd, Die Weiße Flamme, Die Auf Den Grabhügeln Der Feinde Tanzt.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Geralt ruhig, »ob du, Duny, nicht einen weiteren Weg hattest.«
»Du hast mich erkannt, bitte.« Der Kaiser lächelte. »Dabei sollten mich das Fehlen des Bartes und die Art, mich zu geben, völlig verändert haben. Von den Leuten, die mich vorher in Cintra gesehen hatten, sind viele nach Nilfgaard gekommen und haben mich bei einer Audienz erblickt. Und keiner hat mich erkannt. Du aber hast mich ja nur einmal gesehen, und das vor sechzehn Jahren. Habe ich mich dir derart eingeprägt?«
»Ich hätte dich nicht erkannt, du hast dich tatsächlich sehr verändert. Ich habe mir einfach denken können, wer du bist. Schon vor einiger Zeit. Nicht ohne fremde Hilfe und Hinweise habe ich erraten, welche Rolle Inzest in Ciris Familie gespielt hat. In ihrem Blut. In einem meiner Albträume ist mir der schrecklichste, der widerwärtigste Inzest von allen möglichen erschienen. Und bitte, da bist du in eigener Person.«
»Du hältst dich kaum auf den Beinen«, sagte Emhyr kalt. »Und die Frechheiten, auf die du mit aller Macht aus bist, lassen dich noch mehr wanken. Du darfst dich in Gegenwart des Kaisers setzen. Ich verleihe dir dieses Privileg … auf Lebenszeit.«
Geralt setzte sich erleichtert.
Emhyr blieb stehen, auf einen geschnitzten Schrank gestützt. »Du hast das Leben meiner Tochter gerettet«, sagte er. »Mehr mals . Dank dir dafür. In meinem eigenen Namen und im Namen der Nachwelt.«
»Du entwaffnest mich.«
»Cirilla« – Emhyr überging den Spott – »wird nach Nilfgaard reisen. Zum angemessenen Zeitpunkt wird sie Kaiserin werden. Auf genau dieselbe Art und Weise, wie Dutzende von Mädchen Königinnen wurden und werden. Das heißt, fast ohne ihren Gemahl zu kennen. Oft, ohne aufgrund der ersten Begegnung von ihm eine gute Meinung zu haben. Oft enttäuscht von den ersten Tagen und … Nächten der Ehe. Cirilla wird nicht die Erste sein.«
Geralt enthielt sich eines Kommentars.
»Cirilla«, fuhr der Kaiser fort, »wird glücklich sein wie die meisten von den Königinnen, von denen ich gesprochen habe. Das kommt mit der Zeit. Die Liebe, die ich von ihr keineswegs verlange, wird sie auf den Sohn übertragen, den ich mit ihr zeugen werde. Den Erzfürsten und späteren Kaiser. Den Kaiser, der einen Sohn zeugen wird. Den Sohn, der der Gebieter der Welt sein und die Welt vor der Vernichtung bewahren wird. So sagen es die Prophezeiungen, deren exakten Inhalt nur ich kenne.
Selbstverständlich«, fuhr Die Weiße Flamme fort, »wird Cirilla niemals erfahren, wer ich bin. Dieses Geheimnis wird sterben. Zusammen mit denen, die es kennen.«
»Klar.« Geralt nickte. »Klarer geht es nicht.«
»Du kannst nicht umhin«, ließ sich nach einer Weile Emhyr vernehmen, »die Hand der Vorsehung zu bemerken, die in alledem waltete. In allem. Auch in deinen Taten. Von Anfang an.«
»Ich sehe darin eher die Hand von Vilgefortz. Denn er war es doch, der dich seinerzeit nach Cintra geschickt hat, nicht wahr? Als du der Verwunschene Igel warst? Er hat bewirkt, dass Pavetta …«
»Du tappst im Dunkeln«, unterbrach ihn Emhyr heftig und warf auf der Schulter den Mantel mit dem Salamander zurück.»Du weißt nichts. Und brauchst nichts zu wissen. Ich habe dich nicht hierhergebeten, um dir meine Lebensgeschichte zu erzählen. Auch nicht, um mich vor dir zu entschuldigen. Das Einzige, was du verdient hast, ist die Zusicherung, dass dem Mädchen kein Leid geschehen wird. Ich habe dir gegenüber keinerlei Schulden, Hexer. Keinerlei …«
»Hast du!« Geralt fiel ihm ebenso heftig ins Wort. »Du hast einen geschlossenen Vertrag gebrochen. Dein Wort gebrochen. Das sind Schulden, Duny. Du hast den Schwur als Prinz gebrochen, du hast eine Schuld als Kaiser. Mit kaiserlichen Zinsen. Für zehn Jahre!«
»Nur so viel?«
»Nur so viel. Denn nur so viel steht mir zu, nicht mehr. Aber auch nicht weniger! Ich sollte das Kind holen kommen, als es sechs Jahre alt war. Du hast den vereinbarten Termin nicht abgewartet. Du wolltest es mir stehlen, ehe er heran war. Doch die Vorsehung, von der du immerzu sprichst, hat dich zum Narren gehalten. Die nächsten zehn Jahre hindurch hast du versucht, mit dieser Vorsehung zu kämpfen. Jetzt hast du sie, du hast Ciri, die eigene Tochter, der du einst unehrenhaft und gemein die Eltern geraubt hast und mit der du jetzt unehrenhaft und gemein blutschänderisch Kinder zeugen willst.
Weitere Kostenlose Bücher