Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
einen Fußtritt zu verpassen.
Yennefer hatte genug von Typen, die Fußtritte austeilen.
Aus ihren gespreizten Fingern schoss blaues und zischendes Feuer, das wie eine Peitsche auf Gesichter, Körper und Hände der sie umgebenden Leute einhieb. Es begann nach verbranntem Fleisch zu stinken, für einen Augenblick übertönten Schmerzensschreie das allgemeine Getöse und Gebrüll.
»Eine Hexe! Eine Elfenhexe! Eine Zauberin!«
Der nächste Typ sprang mit einer erhobenen Hacke auf sie zu. Yennefer schoß ihm das Feuer direkt ins Gesicht, die Augäpfel des Typs barsten, begannen zu kochen und liefen ihm zischend über die Wangen.
Der Ansturm ließ nach. Jemand packte sie am Arm, sie fuhr herum, drauf und dran, Feuer zu versprühen, doch es war Triss.
»Lass uns fliehen … Yenna … Flie…hen …«
Ich habe sie mit solcher Stimme sprechen hören, schoss es Yennefer durch den Kopf. Mit Lippen wie von Holz, ohne ein einziges Tröpfchen Speichel. Mit Lippen, gelähmt von Furcht, zitternd vor Panik.
Ich habe gehört, wie sie mit solcher Stimme sprach. Auf der Anhöhe von Sodden.
Als sie vor Angst starb.
Sie stirbt auch jetzt vor Angst. Bis an ihr Lebensende wird sie vor Angst sterben. Denn wer einmal nicht die Feigheit in sich überwindet, wird bis ans Ende seiner Tage vor Angst sterben.
Die Finger, die Triss in ihren Ärmel gekrallt hatte, waren wie von Stahl. Yennefer befreite sich mit größter Mühe aus ihrem Griff.
»Wenn du willst, dann flieh!«, schrie sie. »Verkriech dich hinterm Rock deiner Loge! Ich habe etwas zu verteidigen! Ich lasse Ciri nicht im Stich! Und Geralt auch nicht! Fort, Gesindel! Aus dem Weg, wenn euch eure Haut lieb ist!«
Die Menge, die sie vom Pferd trennte, wich vor den Blitzen zurück, die aus den Augen und von den Händen der Zauberin sprühten. Yennefer warf den Kopf herum, ließ die schwarzen Locken wehen. Sie sah wie eine leibhaftige Furie aus, wie ein Engel der Vernichtung, ein strafender Engel der Vernichtung mit einem Flammenschwert.
»Fort, geht nach Hause, ihr Pack!«, schrie sie und hieb mit der Flammenpeitsche auf den Mob ein. »Fort! Sonst brandmarke ich euch wie Vieh!«
»Das ist nur eine Hexe, Leute!«, erklang aus der Menge eine laute und metallische Stimme. »Eine einzige verdammte Elfenzauberin!«
»Sie ist allein! Die andere ist geflohen! He, Jungs, Steine her!«
»Tod den Nichtmenschen! Nieder mit der Zauberin!«
»Macht sie fertig!«
Der erste Stein pfiff ihr am Ohr vorbei. Der zweite prallte ihr gegen die Schulter, dass sie wankte. Der dritte traf sie mitten ins Gesicht. Der Schmerz explodierte erst in ihren Augen, dann hüllte er alles in schwarzen Samt.
Sie kam zu sich, stöhnte vor Schmerz. In beiden Unterarmen und Handgelenken wühlte der Schmerz. Sie griff instinktiv hin, ertastete dicke Schichten von Verbandszeug. Wieder stöhnte sie,tonlos, verzweifelt. Vor Bedauern, dass es kein Traum war. Und vor Bedauern, dass es misslungen war.
»Es ist misslungen«, sagte die am Bett sitzende Tissaia de Vries.
Yennefer wollte trinken. Sie wünschte, jemand würde ihr wenigstens die von einem klebrigem Belag bedeckten Lippen benetzen. Doch sie bat nicht darum. Der Stolz erlaubte es ihr nicht.
»Es ist misslungen«, wiederholte Tissaia de Vries. »Aber nicht, weil du dir keine Mühe gegeben hättest. Du hast gut und tief geschnitten. Darum bin ich jetzt bei dir. Wenn das nur Getue gewesen wäre, nur eine dumme, nicht ernst gemeinte Demonstration, würde ich für dich nur Verachtung empfinden. Aber du hast tief geschnitten. Ernstlich.«
Yennefer blickte nur zur Decke.
»Ich werde mich mit dir befassen, Mädchen. Denn es scheint sich zu lohnen. Aber ich werde an dir arbeiten müssen, oh, das werde ich müssen. Ich werde dir nicht nur das Rückgrat und die Schulter richten müssen, sondern auch die Hände kurieren. Als du dir die Adern geöffnet hast, hast du Sehnen durchgeschnitten. Und die Hände einer Zauberin sind wichtige Werkzeuge, Yennefer.«
Feuchtigkeit auf den Lippen. Wasser.
»Du wirst leben.« Die Stimme Tissaias war sachlich, ernst, sogar streng. »Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Wenn sie kommt, wirst du an diesen Tag denken.«
Yennefer sog gierig die Feuchtigkeit aus dem mit nassem Verbandszeug umwickelten Hölzchen.
»Ich werde mich mit dir befassen«, wiederholte Tissaia de Vries und berührte sanft ihr Haar. »Aber jetzt … Wir sind hier allein. Ohne Zeugen. Niemand wird es sehen, und ich werde es niemandem sagen.
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