Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
Weine, Mädchen. Wein dich aus. Wein dich zum letzten Mal aus. Danach wirst du nicht mehr weinen dürfen. Es gibt keinen widerwärtigeren Anblick als eine weinende Zauberin.«
     
    Sie kam zu sich, räusperte sich, spuckte Blut. Jemand zog sie über den Erdboden, es war Triss, sie erkannte ihr Parfüm. Unweit klangen beschlagene Hufe auf dem Pflaster, vibrierte Geschrei. Yennefer bemerkte einen Reiter in voller Rüstung, er trug einen weißen Überwurf mit rotem Sparren und hieb von der Höhe des Lanzenreitersattels herab mit einem Ochsenziemer auf die Menge ein. Die vom Mob geworfenen Steine prallten wirkungslos von Rüstung und Visier ab. Das Pferd wieherte, warf sich herum, bäumte sich auf.
    Yennefer fühlte, dass sie anstelle der Oberlippe eine große Kartoffel hatte. Mindestens ein Vorderzahn war gebrochen oder ausgeschlagen, hatte schmerzhaft die Zunge verletzt.
    »Triss   …«, stammelte sie. »Teleportiere uns hier weg!«
    »Nein, Yennefer.« Triss’ Stimme war sehr ruhig. Und sehr kalt. »Sie schlagen uns tot   …«
    »Nein, Yennefer. Ich werde nicht fliehen. Mich nicht hinterm Rock der Loge verstecken. Keine Angst, ich werde nicht vor Angst ohnmächtig wie bei Sodden. Ich werde das in mir überwinden. Ich habe es schon überwunden!«
    Nahe bei der Mündung der Gasse, in einem Winkel moosbedeckter Mauern, lag ein großer Haufen Kompost, Mist und Abfälle. Es war ein ansehnlicher Haufen. Sozusagen eine Anhöhe.
    Der Menge war es schließlich gelungen, den Ritter und sein Pferd einzukeilen und ihn bewegungsunfähig zu machen. Er wurde mit schrecklichem Krachen zu Boden gerissen, der Mob kroch auf ihn wie Läuse, bedeckte ihn mit einer zappelnden Schicht.
    Triss, die Yennefer mit hinaufgezogen hatte, stellte sich auf den Gipfel des Misthaufens, reckte die Arme empor. Sie rief einen Spruch, und sie rief ihn mit wahrem Zorn. So durchdringend, dass die Menge für den Bruchteil einer Sekunde verstummte.
    »Sie schlagen uns tot.« Yennefer spuckte Blut aus. »Garan tiert   …«
    »Hilf mir.« Triss unterbrach für einen Moment die Beschwörung.»Hilf mir, Yennefer. Wir schleudern den Blitz des Alzur auf sie   …«
    Und töten an die fünf, dachte Yennefer. Worauf uns die Übrigen in Stücke reißen. Aber gut, Triss, wie du willst. Wenn du nicht fliehst, wirst du mich nicht fliehen sehen.
    Sie fiel in die Beschwörung ein. Jetzt riefen sie zu zweit.
    Einen Moment lang starrte die Menge sie an, doch sie kam bald wieder in Fahrt. Rings um die Zauberinnen begannen wieder Steine zu schwirren. Dicht neben Triss’ Schläfe flog eine geworfene Lanze vorbei. Triss zuckte nicht einmal.
    Das wirkt überhaupt nicht, dachte Yennefer, unser Zauber wirkt überhaupt nicht. Wir haben keine Chance, etwas derart Kompliziertes zu beschwören wie den Blitz des Alzur. Alzur, wird behauptet, hatte eine Stimme wie eine Glocke und eine Aussprache wie ein begnadeter Redner. Wir aber piepsen und stammeln, verfälschen die Worte und die Melodie   …
    Sie war im Begriff, den Singsang zu unterbrechen, den Rest ihrer Kräfte auf einen anderen Spruch zu konzentrieren, der imstande wäre, entweder sie beide zu teleportieren oder die anstürmende Menge – und sei es für einen Sekundenbruchteil – mit etwas Unangenehmem zu empfangen. Doch das erwies sich als unnötig.
    Der Himmel verdunkelte sich plötzlich, über der Stadt ballten sich Wolken zusammen. Es wurde verteufelt finster. Und kalt.
    »Je«, stöhnte Yennefer. »Ich glaube, wir haben was angerichtet.«
     
    »Merigolds Vernichtender Hagelschlag«, wiederholte Nimue. »Diese Bezeichnung wird im Grunde zu Unrecht verwendet, der Zauber ist nie registriert worden, denn nach Triss Merigold ist es niemandem gelungen, ihn zu wiederholen. Aus prosaischen Gründen. Triss hatte damals einen verletzten Mund und sprach undeutlich. Boshafte Leute behaupten überdies, dass ihr die Zunge vor Angst nicht gehorchte.«
    Condwiramurs schürzte die Lippen. »Das ist nun gerade schwer zu glauben, es mangelt nicht an Beweisen für Mut und Tapferkeit der Ehrwürdigen Triss, manche Chroniken nennen sie sogar die Furchtlose. Aber ich wollte nach etwas anderem fragen. Eine von den Versionen der Legende besagt, dass Triss nicht allein auf der Anhöhe von Riva stand. Dass Yennefer dort bei ihr war.«
    Nimue blickte auf das Aquarell, das eine schwarze, steile, spitz wie ein Messer aufragende Anhöhe vor dem Hintergrund von unten her erhellter tiefblauer Wolken zeigte. Auf dem Gipfel der Anhöhe war die

Weitere Kostenlose Bücher