Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
sagte sie, nachdem sie den Bissen hinuntergeschluckt hatte, »so bin ich vor einiger Zeit von dort geflohen und habe es überhaupt nicht eilig mit der Rückkehr. Was hingegen Gunstbezeugungen auf einem Teppich aus Moos angeht … Wirklich, Galahad, du hast die falsche Dame getroffen. Trotzdem schönen Dank für die guten Absichten.«
»Meine Dame! Ich wollte Euch nicht kränken …«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Es ist nur«, stotterte er, »dass Ihr so bezaubernd schön seid.«
»Abermals Dank. Aber jetzt kein Wort mehr davon.«
Sie schwiegen eine Weile. Es war warm. Die Sonne, die im Zenit stand, erhitzte angenehm die Steine. Ein leichter Windhauch kräuselte den Spiegel des Sees.
»Was bedeutet …«, ließ sich plötzlich Galahad mit sonderbar exaltierter Stimme vernehmen. »Was bedeutet der Speer mit der blutenden Spitze? Was bedeutet und welchen Grund hat das Leiden des Königs mit dem durchstochenen Schenkel? Was bedeutet die Jungfer in Weiß, die den Gral trägt, die silberne Schale …«
»Aber sonst«, unterbrach sie ihn, »geht es dir gut?«
»Ich frage ja nur.«
»Und ich verstehe deine Frage nicht. Ist das irgendeine verabredete Losung? Ein Signal, an dem die Eingeweihten einander erkennen? Sei so freundlich und erkläre es.«
»Das vermag ich nicht.«
»Warum also hast du gefragt?«
»Ja, weil …« Er wurde verlegen. »Na, kurz gesagt … Einer von unseren Leuten hat nicht gefragt, als er die Gelegenheit dazu hatte. Es hat ihm die Sprache verschlagen, oder er hat sich geschämt … Er hat nicht gefragt, und deswegen gab es eine Menge Scherereien. Also fragen wir jetzt immer. Sicherheitshalber.«
»Gibt es in dieser Welt Zauberer? Weißt du, Leute, die Magie betreiben. Magier. Wissende.«
»Es gibt Merlin. Und Morgana. Aber die ist böse.«
»Und Merlin?«
»Einigermaßen.«
»Weißt du, wo man ihn finden kann?«
»Gewiss doch! In Camelot. Am Hof von König Arthur. Dahin bin ich gerade unterwegs.«
»Ist es weit?«
»Von hier nach Powys, zum Fluss Hafren, dann den Hafrenentlang nach Glavum, ans Sabrina-Meer, und von dort ist es nicht mehr weit zur Ebene des Sommerreichs. Alles in allem an die zehn Tage zu reiten.«
»Zu weit.«
»Man kann«, sagte er stockend, »den Weg etwas abkürzen, wenn man durch Cwm Pwcca reitet. Aber das ist ein verwunschenes Tal. Dort ist es unheimlich. Dort leben die Y Dynan Bach Têg, boshafte Wichte …«
»Ja und – dein Schwert trägst du spazieren?«
»Was vermag ein Schwert gegen Zauberei?«
»Genug, genug, nur keine Angst. Ich bin Hexerin. Hast du davon schon mal gehört? Ah, klar, hast du nicht. Aber vor deinen Wichten fürchte ich mich nicht. Ich habe unter den Zwergen eine Menge Bekannte.«
Natürlich, dachte er.
»Dame vom See?«
»Ich heiße Ciri. Nenn mich nicht Dame vom See. Ich habe da ungute Erinnerungen, recht unangenehme. So haben mich jene genannt, im Lande … Wie nennst du das Land?«
»Faërie. Oder, wie die Druiden sagen: Annwn. Und die Sachsen nennen es Elfland.«
»Elfland …« Sie zog das karierte Piktenplaid um die Schultern, das sie von ihm erhalten hatte. »Ich bin dort gewesen, weißt du? Ich ging in den Schwalbenturm, und im Handumdrehen war ich unter Elfen. Und die haben mich so genannt. Die Dame vom See. Anfangs hat mir das sogar gefallen. Es hat mir geschmeichelt. Bis ich begriff, dass ich in jenem Land, in jenem Turm und an jenem See überhaupt keine Dame war, keine Herrin, sondern eine Gefangene.«
»Hast du dir dort«, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen, »das Hemd mit Blut befleckt?«
Sie schwieg lange.
»Nein«, sagte sie schließlich, und ihm schien, als bebe ihreStimme ein wenig. »Nicht dort. Du hast ein scharfes Auge. Nun ja, der Wahrheit entflieht man nicht, es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken … Ja, Galahad. Ich habe mich in letzter Zeit oft befleckt. Mit dem Blut von Feinden, die ich getötet habe. Und mit dem Blut von Menschen, die mir nahestanden und die ich zu retten versuchte … Und die in meinen Armen gestorben sind … Was schaust du so?«
»Ich weiß nicht, ob du eine Gottheit bist oder eine Sterbliche … Oder eine von den Göttinnen … Bist du aber eine Bewohnerin des Erdkreises …«
»Zur Sache, wenn ich bitten darf.«
»Ich würde gern« – Galahads Augen leuchteten auf – »deine Geschichte hören. Willst du sie mir erzählen, edle Dame?«
»Sie ist lang.«
»Wir haben
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