Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
über die Ebene, weil sich die Nachricht verbreitet, die Einhörner seien unruhig und streitsüchtig geworden. Niemand weiß, warum. Das heißt, jetzt weiß man es schon. Es ist ihretwegen, kein Zweifel.«
Avallac’h stimmte nicht zu und widersprach nicht. Ciri jedoch konterte fest den Blick des schwarzhaarigen Elfs. Eine Zeitlang schauten sie einander an, und keiner wollte zuerst den Blick abwenden.
»Das also soll das Ältere Blut sein«, stellte der Elf fest. »Aen Hen Ichaer. Das Erbe von Shiadhal und Lara Dorren? Schwer zu glauben. Das ist doch eine gewöhnliche kleine Dh’oine. Ein Menschenweibchen.«
Avallac’h antwortete nicht. Sein Gesicht war reglos und gleichgültig.
»Angenommen«, fuhr der Schwarzhaarige fort, »dass du dich nicht geirrt hast. Pah, ich betrachte das als sicher, denn du, heißt es, irrst dich ja niemals. In diesem Geschöpf, tief verborgen, steckt das Gen Laras. Ja, wenn man genauer hinschaut, kann man gewisse Züge erkennen, die von der Herkunft dieser Kleinen zeugen. Sie hat in den Augen tatsächlich etwas, was an Lara Dorren erinnert. Nicht wahr, Avallac’h? Wer wäre besser als du berechtigt, das einzuschätzen?«
Avallac’h antwortete auch diesmal nicht. Doch Ciri bemerkte auf seinem blassen Gesicht einen Anflug von Röte. Sie wunderte sich sehr. Und kam ins Grübeln.
Der Schwarzhaarige verzog den Mund. »Alles in allem steckt in deiner kleinen Dh’oine etwas Wertvolles, etwas Schönes. Ich sehe das. Und ich habe den Eindruck, als sähe ich ein Goldkörnchen in einem Komposthaufen.«
Ciris Augen flammten zornig auf. Avallac’h wandte langsam den Kopf. »Du sprichst«, sagte er langsam, »ganz wie ein Mensch, Eredin.«
Eredin Bréacc Glass zeigte lächelnd die Zähne. Ciri hatte solche Gebisse schon gesehen, sehr weiß, sehr klein und sehr unmenschlich, gleichmäßig wie unter dem Streichbrett hervor, ohne Eckzähne. Sie hatte solche Gebisse bei den erschlagenen Elfen gesehen, die auf dem Hof der Wachstation in Kaedwen aufgereiht lagen. Auch Flamme hatte solch ein Gebiss besessen.Doch wenn Flamme lächelte, hatten ihre Zähne hübsch ausgesehen, bei Eredin aber gespenstisch.
»Weiß das Ding«, sagte er, »das gerade versucht, mich mit seinem Blick zu töten, schon, zu welchem Zweck es hier ist?«
»Allerdings.«
»Und sie ist bereit zur Zusammenarbeit?«
»Noch nicht ganz.«
»Nicht ganz«, wiederholte er. »Ha, das ist schlecht. Denn das Wesen der Zusammenarbeit erfordert, dass sie ganz ist. Anders als ganz geht es einfach nicht. Und da uns von Tir ná Lia nur ein halber Tagesritt trennt, wäre es gut zu wissen, wo wir stehen.«
»Wozu die Geduld verlieren?« Avallac’h schürzte die Lippen leicht. »Was können wir durch Hast gewinnen?«
»Die Ewigkeit.« Eredin Bréacc Glass wurde ernst, in seinen grünen Augen blitzte kurz etwas auf. »Aber das ist deine Spezialität, Avallac’h. Deine Spezialität und deine Verantwortung.«
»Du sagst es.«
»Ich sage es. Und jetzt entschuldigt, aber die Pflicht ruft. Ich lasse euch eine Eskorte, zur Sicherheit. Zu übernachten empfehle ich hier, auf dieser Anhöhe; wenn ihr morgen bei Sonnenaufgang aufbrecht, seid ihr zur rechten Zeit in Tir ná Lia. Va faill. Ach, noch etwas.«
Er bückte sich, brach einen blühenden Myrtenzweig und riss ihn ab. Er führte ihn an sein Gesicht und reichte ihn dann mit einer Verbeugung Ciri.
»Das ist eine Entschuldigung«, sagte er knapp. »Für die unbedachten Worte. Va faill, luned.«
Er ging schnell davon, gleich darauf erbebte die Erde unter den Hufen, als er mit einem Teil der Abteilung davonritt.
»Sag mir bloß nicht«, murrte sie, »dass er es ist, mit dem ich … Dass er … Wenn er es ist, dann niemals im Leben.«
»Nein«, erklärte Avallac’h langsam. »Nicht er. Sei beruhigt.«
Ciri hob die Myrte ans Gesicht. Damit er nicht die Erregung und Faszination sah, die sie ergriffen hatten.
»Ich bin beruhigt.«
Die trockenen Disteln und das Heidekraut der Steppe wichen üppigem grünem Gras, feuchtem Farnkraut, der nasse Boden wurde gelb von Hahnenfuß, blau von Lupine. Bald erblickten sie einen Fluss, der träge in einem Spalier von Pappeln floss. Das Wasser im Fluss, wenngleich kristallklar, hatte eine bräunliche Färbung. Es roch nach Torf.
Avallac’h spielte auf seiner Flöte verschiedene hüpfende kleine Melodien. Ciri machte eine mürrische Miene und dachte intensiv nach.
»Wer«, ließ sie sich schließlich vernehmen, »soll der Vater dieses Kindes
Weitere Kostenlose Bücher