Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
hier in der Märchenwelt muss es jemanden geben, der sich für die Nichtstuer abrackert.
Sie traten in den Palast. Ciri seufzte. Sie war eine Prinzessin von königlichem Geblüt, in Palästen aufgewachsen. Aber solchen Marmor und Malachit, solche Stuckarbeiten, Statuen, Mosaiken, Spiegel und Kandelaber hatte sie noch nie gesehen. Sie fühlte sich in diesem glänzenden Inneren schlecht, unpassend, fehl am Platze, von der Reise staubig, verschwitzt und mitgenommen.
Avallac’h dagegen benahm sich ganz ungezwungen. Er klopfte mit der Hand Hose und Stiefel ab, ohne sich darum zu kümmern, dass der Staub sich auf einem Spiegel absetzte. Dann warf er seine Handschuhe herablassend einer kleinen Elfe zu, die gebückt dastand.
»Auberon?«, fragte er kurz. »Er wartet?«
Eredin lächelte. »Er wartet. Es ist ihm sehr dringend. Er hat verlangt, dass die Schwalbe sofort zu ihm kommt, ohne einen Augenblick zu säumen. Ich habe ihm das ausgeredet.«
Avallac’h hob die Brauen.
»Zireael«, erklärte Eredin sehr ruhig, »muss ohne Stress zum König gehen, ohne Druck, ausgeruht, gelassen und guter Laune. Für gute Laune wird ein Bad sorgen, neue Kleidung, eine neue Frisur und Schminke. So lange wird es Auberon wohl noch aushalten, meine ich.«
Ciri atmete tief durch und schaute den Elf an. Sie staunte geradezu, wie sympathisch er ihr vorkam.
Eredin zeigte lächelnd sein gleichmäßiges Gebiss ohne Eckzähne. »Eines nur weckt Befürchtungen in mir«, erklärte er. »Und das ist das falkenhafte Funkeln in den Augen unserer Schwalbe. Unsere Schwalbe schießt Blicke nach links und rechts, das reinste Hermelin, das nach einem Loch im Käfig Ausschau hält. Die Schwalbe, so viel sehe ich, ist noch weit von einer bedingungslosen Kapitulation entfernt.«
Avallac’h kommentierte das nicht. Ciri natürlich ebenso wenig.
»Ich wundere mich nicht«, fuhr Eredin fort. »Es kann nichtanders sein, da das doch das Blut von Shiadhal und Lara Dorren ist. Höre mir aber sehr aufmerksam zu, Zireael. Es gibt keine Flucht von hier. Es ist nicht möglich, den Geas Garadh zu durchbrechen, den Zauber der Barriere.«
Ciris Blick gab deutlich zu verstehen, dass sie das nicht glauben würde, solange sie es nicht überprüft hatte.
»Selbst wenn du durch ein Wunder die Barriere bezwingen würdest« – Eredin wandte kein Auge von ihr –, »sollst du wissen, dass das dein Verderben bedeuten würde. Diese Welt sieht nur sanft aus. Aber sie ist tödlich, vor allem für jemanden, der sich nicht auskennt. Eine Wunde vom Horn eines Einhorns ist nicht einmal mit Magie zu heilen.
Du sollst auch wissen«, fuhr er fort, ohne eine Antwort abzuwarten, »dass dir dein wildes Talent nichts nützen wird. Du wirst keinen Sprung vollführen, versuch es gar nicht erst. Und selbst wenn es dir gelänge, sollst du wissen, dass meine Dearg Ruadhri, die Roten Reiter, dich sogar in den Abgründen von Raum und Zeit einholen können.«
Sie verstand nicht recht, was er meinte. Doch es gab ihr zu denken, dass Avallac’hs Miene sich plötzlich verfinsterte; er war sichtlich unzufrieden mit Eredins Worten. Als habe Eredin zu viel gesagt.
»Gehen wir«, sagte er. »Gestatte, Zireael. Wir übergeben dich jetzt der Obhut der Damen. Du sollst schön aussehen. Der erste Eindruck ist am wichtigsten.«
Das Herz hämmerte ihr in der Brust, das Blut pochte in den Schläfen, die Hände zitterten ein wenig. Sie riss sich zusammen, ballte die Fäuste. Sie beruhigte sich, indem sie langsam ein- und ausatmete. Sie lockerte die Schultern, bewegte das vor Anspannung steif gewordene Genick.
Noch einmal betrachtete sie sich in einem großen Spiegel. Der Anblick war recht zufriedenstellend. Die vom Bade noch nassen Haare waren so geschnitten und gekämmt, dass sie die Narbewenigstens ein bisschen verdeckten. Die Schminke betonte hübsch Augen und Lippen, keinen schlechten Eindruck machten auch der bis zur Mitte des Oberschenkels geschlitzte Rock, die schwarze Weste und die dünne Bluse mit der Perlenleiste. Einen interessanten Akzent setzte ein Seidenhalstuch.
Ciri rückte das Halstuch zurecht, worauf sie sich zwischen die Schenkel griff und auch dort zurechtrückte, was zurechtzurücken war. Denn unter dem Rock trug sie wahrlich erstaunliche Dinge – einen spinnwebenfeinen Schlüpfer und fast bis an ihn heranreichende Strümpfe, die auf unglaubliche Weise ohne Strumpfhalter an den Schenkeln hafteten.
Sie griff nach der Klinke. Zögernd, als sei es keine Klinke, sondern eine
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