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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sein, an dem euch so viel gelegen ist? Oder hat das vielleicht keine Bedeutung?«
    »Es hat Bedeutung. Soll ich das so verstehen, dass du einen Entschluss gefasst hast?«
    »Nein, sollst du nicht. Ich kläre einfach bestimmte Dinge.«
    »Ich werde behilflich sein. Was willst du wissen?«
    »Du weißt genau, was.«
    Kurze Zeit ritten sie schweigend. Ciri sah Schwäne, die würdevoll auf dem Fluss dahinschwammen.
    »Vater des Kindes«, sagte Avallac’h ruhig und sachlich, »wird Auberon Muircetach sein. Auberon Muircetach ist unser   … wie heißt das bei euch   … oberster Anführer?«
    »König? Der König aller Aen Seidhe?«
    »Die Aen Seidhe, das Hügelvolk, sind die Elfen deiner Welt. Wir sind die Aen Elle, das Erlenvolk. Und ja, Auberon Muircetach ist unser König.«
    »Der Erlkönig?«
    »So kann man es sagen.«
    Sie ritten schweigend weiter. Es war sehr warm.
    »Avallac’h.«
    »Ja.«
    »Wenn ich mich dazu entschließe, dann bin ich danach   … später   … Bin ich dann frei?«
    »Du wirst frei sein und gehen können, wohin du willst. Falls du nicht beschließt, hierzubleiben. Bei dem Kind.«
    Sie prustete abfällig, sagte aber nichts.
    »Du hast dich also entschieden?«
    »Ich entscheide mich, wenn wir an Ort und Stelle sind.«
    »Wir sind schon an Ort und Stelle.«
    Hinter den Zweigen der Trauerweiden, die wie grüne Gardinen zum Wasser herabhingen, erblickte Ciri Paläste. Nie im Leben hatte sie dergleichen gesehen. Obwohl aus Marmor und Alabaster errichtet, waren sie durchbrochen wie Lauben; sie wirkten so feingliedrig, filigran und ätherisch, als seien es keine Bauwerke, sondern die Phantome von Bauwerken. Ciri erwartete jeden Augenblick, es könne Wind aufkommen, und die Paläste würden zusammen mit dem über den Fluss ziehenden Dunst verschwinden. Doch als Wind aufkam, als der Dunst verwehte, als sich die Weidenzweige regten und der Fluss sich kräuselte, verschwanden die Paläste nicht und dachten gar nicht daran. Sie wurden nur noch schöner.
    Ciri schaute gebannt auf die kleinen Terrassen, auf die Türmchen, die aus dem Wasser ragten wie Seerosenblüten, auf die Brücken, die über dem Fluss schwebten wie Efeuranken, auf die Treppen, Balustraden, Arkaden und Säulengänge, auf Peristyle, Säulen, Säulchen und Kuppeln, auf die schlanken, an Spargel erinnernden Fialen und Türme.
    »Tir ná Lia«, sagte Avallac’h leise.
    Je näher sie kamen, um so stärker ergriff die Schönheit dieses Ortes das Herz, um so stärker schnürte sie die Kehle ein, bewirkte, dass sich in den Augenwinkeln Tränen sammelten. Ciri schaute auf die Springbrunnen, die Mosaiken und Terrakotten, die Skulpturen und Denkmäler. Auf die filigranen Konstruktionen, deren Zweck sie nicht verstand. Und auf solche, von denensie sich sicher war, dass sie zu nichts dienten. Außer der Ästhetik und Harmonie.
    »Tir ná Lia«, wiederholte Avallac’h. »Hast du jemals so etwas gesehen?«
    »Allerdings.« Sie überwand den Kloß im Halse. »Ich habe die Überbleibsel von so etwas gesehen. In Shaerrawedd.«
    Jetzt war es der Elf, der lange schwieg.
     
    Ans andere Flussufer ritten sie über eine geschwungene filigrane Brücke, die einen derart fragilen Eindruck machte, dass Kelpie lange scheute und schnaubte, ehe sie es wagte, die Brücke zu betreten.
    Obwohl sie nervös und angespannt war, schaute sich Ciri gründlich um, wollte nichts verpassen, keine Ansicht, die die Märchenstadt Tir ná Lia bot. Erstens brannte sie vor Neugier, zweitens dachte sie immer noch an Flucht und hielt unablässig Ausschau nach einer Gelegenheit.
    Auf den Brücken, Terrassen und Balkonen, in Alleen, Peristylen und Wandelgängen sah sie einherschlendernde langhaarige männliche Elfen in engen Wämsern und kurzen Überwürfen, die mit blattförmigen Phantasiemotiven bestickt waren. Sie sah frisierte und stark geschminkte Elfenfrauen in luftigen Kleidern oder in Anzügen, die an Männerkleidung erinnerten.
    Vor dem Portikus eines der Paläste begrüßte sie Eredin Bréacc Glass. Auf seinen kurzen Befehl hin wimmelte es ringsum von kleinen, grau gekleideten weiblichen Elfen, die sich rasch und schweigend um die Pferde kümmerten. Ciri schaute ein wenig verwundert zu. Avallac’h, Eredin und alle anderen Elfen, die sie bisher getroffen hatte, waren von ungewöhnlich großem Wuchs; um ihnen in die Augen zu blicken, musste sie den Kopf zurücklegen. Die grauen Elfen waren weit kleiner als sie selbst. Eine andere Rasse, dachte sie. Eine Dienerrasse. Sogar

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