Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
wiederholte er. »Sie werden nicht zur Kenntnis nehmen, dass du entgegen den Prophezeiungen und Mythen niemand und nichts bist, ein Wesen ohne Bedeutung. Sie werden das nicht glauben und werden dich nicht fortlassen. Sie haben dich mit einem Versprechen getäuscht, um sich deiner Bereitwilligkeit zu versichern, aber sie hatten niemals die Absicht, dieses Versprechen zu halten. Niemals.«
»Avallac’h«, brachte sie heiser hervor, »hat mir sein Wort gegeben. Es soll eine Beleidigung sein, das Wort eines Elfs anzuzweifeln.«
»Avallac’h ist ein Wissender. Die Wissenden haben ihren eigenen Ehrenkodex, in dem jeder zweite Satz von dem Ziel handelt, das die Mittel heiligt.«
»Ich verstehe nicht, warum du mir das alles sagst. Es sei denn … dass du etwas von mir willst. Es sei denn, ich habe etwas, wonach es dich verlangt. Und du willst einen Handel abschließen. Was? Eredin? Meine Freiheit für … Wofür?«
Er schaute sie lange an. Sie aber suchte vergebens in seinen Augen nach irgendeinem Hinweis, einem Signal, einem Zeichen. Nach irgendetwas.
»Gewiss«, begann er langsam, »ist es dir schon gelungen, Auberon ein wenig kennenzulernen. Gewiss hast du schon bemerkt, dass er geradezu unvorstellbar ehrgeizig ist. Es gibt Dinge, die er niemals akzeptieren wird, die er nie auch nur zur Kenntnis nimmt. Eher stirbt er.«
Ciri schwieg, biss sich auf die Lippen und schielte zur Liege hin.
»Auberon Muircetach«, fuhr der Elf fort, »wird niemals zur Magie oder zu anderen Mitteln greifen, die die bestehende Situationändern könnten. Aber solche Mittel gibt es. Gute, starke, verlässliche Mittel. Wesentlich wirksamere als die Attraktanten, mit denen Avallac’hs Dienerinnen deine Kosmetika anreichern.«
Er fuhr mit der Hand rasch über die dunkel geäderte Tischplatte. Als er die Hand zurückzog, blieb auf der Platte ein kleines Flakon von graugrünem Nephrit zurück.
»Nein«, presste sie hervor. »Absolut nein. Dazu bin ich nicht bereit.«
»Du hast mich nicht ausreden lassen.«
»Halt mich nicht für dumm. Ich werde ihm nicht geben, was in diesem Flakon ist. Zu dergleichen wirst du mich nicht benutzen.«
»Du ziehst sehr übereilte Schlüsse«, sagte er langsam und schaute ihr in die Augen. »Du versuchst, dich beim Lauf selber zu überholen. Und derlei endet immer mit einem Sturz. Einem sehr schmerzhaften Sturz.«
»Ich sagte: Nein.«
»Überleg es dir gut. Unabhängig davon, was dieses Gefäß enthält, gewinnst du immer. Du gewinnst immer, Schwalbe.«
»Nein!«
Mit einer ebenso schnellen Bewegung wie zuvor, wahrlich würdig eines Taschenspielers, ließ der Elf das Flakon vom Tisch verschwinden. Dann schwieg er lange, betrachtete den Fluss Easnadh, der zwischen den Bäumen glitzerte.
»Du wirst hier sterben, Schmetterling«, sagte er schließlich. »Sie werden dich nicht fortlassen. Aber es ist deine Entscheidung.«
»Ich habe eine Vereinbarung getroffen. Meine Freiheit für …«
»Freiheit«, schnaubte er. »Immerzu redest du von dieser Freiheit. Und was würdest du tun, wenn du sie bekämst? Wohin würdest du gehen? Begreife endlich, dass dich von dieser deiner Welt nicht nur Orte trennen, sondern auch die Zeit. Die Zeit fließt hier anders als dort. Die du dort als Kinder gekannt hast,sind jetzt verhutzelte Greise, und die gleichaltrig mit dir waren, sind längst gestorben.«
»Das glaube ich nicht.«
»Erinnere dich an eure Legenden. Die Legenden von Menschen, die auf geheimnisvolle Weise verschwanden und nach Jahren wiederkehrten, nur um die grasbewachsenen Gräber ihrer Nächsten zu sehen. Vielleicht glaubst du, das seien Phantasien gewesen, aus den Fingern gesogen? Du irrst dich. Jahrhunderte hindurch sind Menschen geraubt worden, von den Reitern fortgetragen, die ihr die Wilde Jagd nennt. Geraubt, ausgenutzt und dann weggeworfen wie die Schalen eines ausgeschlürften Eies. Dir aber wird nicht einmal das widerfahren, Zireael. Du wirst hier sterben, es wird dir nicht einmal vergönnt sein, die Gräber deiner Nächsten zu sehen.«
»Ich glaube nicht, was du sagst.«
»Was du glaubst, ist deine Privatangelegenheit. Und dein Schicksal hast du selbst gewählt. Gehen wir zurück. Ich habe eine Bitte, Schwalbe. Würdest du in Tir ná Lia ein leichtes Mahl mit mir nehmen?«
Ein paar Herzschläge lang kämpften Hunger und irrsinnige Faszination in Ciri mit Wut, der Furcht vor Gift und allgemeiner Antipathie.
»Gern.« Sie senkte den Blick. »Danke für die Einladung.«
»Ich habe zu
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