Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
als Sprachübungen selbst noch andere Vergleiche erarbeiten. Morgen werde ich dich danach abfragen, du kleine Dh’oine. Du Menschenwesen, in dem nichts, absolut nichts von einer Elfe geblieben ist.«
Er trat an den Tisch, nahm das Röhrchen, beugte sich über den Spiegel. Ciri saß da wie versteinert. Sie fühlte sich, als sei sie angespuckt worden.
»Ich komme nicht aus Liebe zu dir!«, knurrte sie wütend. »Ich bin gefangen und werde erpresst, das weißt du ganz genau! Aber ich bin einverstanden, ich tue es für …«
»Für wen?«, unterbrach er sie hastig, gar nicht auf Elfenart. »Für mich? Für die in deiner Welt gefangenen Aen Seidhe? Du dummes Mädchen! Für dich tust du es, für dich kommst du hierher und versuchst vergebens, dich mir hinzugeben. Denn das ist deine einzige Hoffnung, dein einziger Strohhalm. Und ich sage dir noch eins: Bete, bete innig zu deinen Menschenidolen, Götzen oder Totems. Denn entweder bin ich es, oder es ist Avallac’h mit seinem Laboratorium. Glaube mir, es würde dir nicht gefallen, ins Laboratorium zu kommen und Bekanntschaft mit der Alternative zu machen.«
»Das ist mir alles gleich«, sagte sie tonlos und rollte sich auf dem Bett zusammen. »Ich bin mit allem einverstanden, wenn ich nur die Freiheit zurückerlange. Um endlich von euch freigelassen zu werden. Fortzugehen. In meine Welt. Zu meinen Freunden.«
»Deinen Freunden!«, höhnte er. »Da hast du deine Freunde!«
Er wandte sich abrupt um und warf ihr den mit Fisstech bepuderten Spiegel zu. »Da hast du deine Freunde!«, wiederholte er. »Schau nur!«
Er ging hinaus, dass die Enden des Pelzes wehten.
Anfangs sah sie in dem verschmutzten Glas nur ihr eigenes verschwommenes Abbild. Doch fast sofort leuchtete der Spiegel milchig auf, füllte sich mit Rauch. Und dann mit einem Bild.
Yennefer, die in einer Wassertiefe hängt, ausgestreckt, die Hände nach oben erhoben. Die Ärmel ihres Kleides sind wie die ausgebreiteten Flügel eines Vogels. Ihre Haare wogen, zwischen ihnen huschen kleine Fische hindurch. Ganze Schwärme glitzernder kleiner Fische. Manche knabbern schon an Wangen und Augen der Zauberin. Von Yennefers Füßen führt ein Strick zum Grunde des Sees; am Ende des Stricks, in Schlick und Wasserpest versunken, befindet sich ein großer Steinbrocken. Oben, weit entfernt, leuchtet und blinkt die Wasseroberfläche.
Yennefers Kleid wogt im selben Rhythmus wie die Wasserpflanzen.
Die vom Fisstech befleckte Spiegelfläche überzieht sich mit Rauch.
Geralt, bleich wie Glas, sitzt mit zusammengekniffenen Augen unter von einem Felsen herabhängenden langen Eiszapfen, reglos, eisbedeckt und rasch in dem vom Wind herbeigewehten Schnee versinkend. Seine weißen Haare sind schon weiße Eisfäden, weiße Zapfen hängen ihm an Brauen, Wimpern, Lippen. Der Schnee fällt und fällt immer weiter, die Schneewehe wächst, die Geralts Beine bedeckt, es wachsen die wulstigen Schneepolster auf seinen Schultern. Der Sturmwind heult und pfeift …
Ciri sprang vom Bett auf, schleuderte den Spiegel mit Schwung an die Wand. Der Bernsteinrahmen platzte auf, das Glas zerstob in Millionen von Splittern.
Sie erkannte diese Art Visionen, kannte sie, erinnerte sich daran. Aus ihren früheren Träumen.
»Das ist alles nicht wahr!«, schrie sie. »Hörst du, Auberon? Ich glaube nicht daran! Das ist nicht wahr! Das ist nur deine Bosheit, ohnmächtig wie du selber! Deine Bosheit …«
Sie setzte sich auf den Fußboden. Und brach in Tränen aus.
Sie argwöhnte, dass im Palast die Wände Ohren hatten. Am Morgen konnte sie sich nicht der zweideutigen Blicke erwehren, spürte spöttisches Lächeln hinter ihrem Rücken, hörte Flüstern.
Avallac’h war nirgends zu sehen. Er weiß es, dachte sie, er weiß, was geschehen ist, und weicht mir aus. Ehe ich aufgestanden bin, ist er beizeiten mit seiner Goldelfe weit weggefahren oder -geritten. Er will nicht mit mir reden, will nicht eingestehen, dass sein ganzer Plan in Trümmern liegt.
Auch Eredin war nirgends auszumachen. Doch das war eher normal, er ritt oft mit seinen Dearg Ruadhri aus, den Roten Reitern.
Ciri führte Kelpie aus dem Stall und ritt über den Fluss. Die ganze Zeit dachte sie fieberhaft nach, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen.
Von hier fliehen. Es ist nicht wichtig, ob alle diese Visionen Lüge oder Wahrheit waren. Eins ist sicher – Yennefer und Geralt sind dort, in meiner Welt, und dort ist mein Platz, bei ihnen. Ich muss von hier fliehen, unverzüglich
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