Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
in den Fluss mündet. Bereit?«
»Jederzeit.«
Mit einem Schrei riss er den Hengst voran, und das Ross stürmte los wie ein Wirbelwind. Ehe Kelpie startete, war es schon weit voraus. Es lief, dass geradezu der Boden bebte, doch mit Kelpie konnte es sich nicht messen. Sie holte den Hengst rasch ein, noch vor der Porphyrbrücke. Die Brücke war schmal. Eredin schrie, und der Hengst, so unglaublich es klingt, beschleunigte. Ciri erfasste sofort, worum es ging. Auf die Brücke hätten um nichts in der Welt zwei Pferde gepasst. Eins musste zurückbleiben.
Ciri dachte nicht daran. Sie schmiegte sich an die Mähne, und Kelpie schoss vorwärts wie ein Pfeil. Sie streifte den Steigbügel des Elfs und war auf der Brücke. Eredin brüllte auf, der Hengstbäumte sich auf, streifte mit der Flanke eine Alabasterfigur, stürzte sie vom Sockel, dass sie in Stücke sprang.
Gespenstisch kichernd galoppierte Ciri über die Brücke. Sie schaute nicht zurück.
An dem Bach saß sie ab und wartete.
Er kam kurz darauf geritten, im Schritt. Lächelnd und ruhig.
»Meine Anerkennung«, sagte er knapp, während er abstieg. »Sowohl für die Stute als auch für die Amazone.«
Obwohl sie stolz war wie ein Pfau, schnaubte sie lässig. »Aha! Du wirst uns also nicht mehr blutig aufzäumen?«
»Höchstens mit Erlaubnis.« Er lächelte zweideutig. »Es gibt Stuten, die heftige Zärtlichkeiten mögen.«
Sie blickte ihn trotzig an. »Vor kurzem hast du mich mit Kompost verglichen. Und jetzt reden wir schon von Zärtlichkeiten?«
Er trat an Kelpie heran, streichelte und tätschelte ihr den Hals, schüttelte den Kopf, als er feststellte, dass sie trocken war. Kelpie ruckte mit dem Kopf und schrie gedehnt. Eredin wandte sich Ciri zu. Wenn er mich auch tätschelt, dachte sie, wird er es bereuen.
»Folge mir bitte.«
Entlang des in den Fluss mündenden Baches, der einen steilen, dicht bewaldeten Hang herabkam, führte eine Treppe in die Höhe, deren Stufen aus Bruchstücken bemoosten Sandsteins gefertigt waren. Die Stufen waren uralt, geborsten, von Baumwurzeln gesprengt. Sie verliefen im Zickzack bergauf, führten hier und da mit einem Brückchen über den Bach. Ringsum war Wald, wilder Wald voller Eschen, Weißbuchen, Eiben, Ahornbäumen, Eichen mit einem dichten Unterholz von Tamarisken, Hasel- und Johannisbeersträuchern. Es roch nach Wermut, Salbei, Brennnessel, nassem Stein, Frühling und Schimmel.
Ciri ging schweigend, ohne Eile, und hielt den Atem unter Kontrolle. Sie beherrschte auch ihre Nervosität. Sie hatte keineAhnung, was Eredin von ihr wollen mochte, aber ihr Vorgefühl war nicht das beste.
Neben der nächsten Kaskade, die geräuschvoll in die Felsspalten stürzte, befand sich eine Steinterrasse, dahinter aber, im Schatten eines Gebüschs von wildem Flieder, stand eine Laube, überwuchert von Efeu und Tradeskantie. Unten sah man die Kronen von Bäumen, das Band des Flusses, die Dächer, Peristyle und Terrassen von Tir ná Lia.
Sie blieben einen Moment lang stehen und schauten.
Ciri brach als Erste das Schweigen. »Niemand hat mir gesagt, wie dieser Fluss heißt.«
»Easnadh.«
»Seufzer? Schön. Und dieser Bach?«
»Tuathe.«
»Flüstern. Auch schön. Warum hat mir niemand gesagt, dass in dieser Welt Menschen leben?«
»Weil diese Information unwesentlich und für dich ohne jede Bedeutung ist. Gehen wir in die Laube.«
»Wozu?«
»Gehen wir hinein.«
Das Erste, was sie drinnen bemerkte, war eine hölzerne Liege. Ciri spürte, wie es ihr in den Schläfen zu pochen begann. Na klar, dachte sie, das war abzusehen. Ich habe schließlich im Tempel die Romanze gelesen, die Anny Tiller geschrieben hat. Von dem alten König, der jungen Königin und dem machtlüsternen Fürsten und Thronprätendenten. Eredin ist skrupellos, ehrgeizig und entschlossen. Er weiß, dass derjenige, der die Königin hat, der wahre König ist, der wahre Herrscher. Wer die Königin in Besitz genommen hat, hat das Reich in Besitz genommen. Hier, auf dieser Liege, wird ein Staatsstreich beginnen …
Der Elf setzte sich an den Marmortisch, wies Ciri den zweiten Sessel. Der Blick aus dem Fenster schien ihn mehr zu interessieren als sie, und die Liege beachtete er überhaupt nicht.
»Du wirst für immer hier bleiben«, überraschte er sie, »dumeine Amazone, leicht wie ein Schmetterling. Bis ans Ende deines Schmetterlingslebens.«
Sie schwieg, schaute ihm gerade in die Augen. In diesen Augen lag nichts.
»Sie werden dich nicht von hier fortlassen«,
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