Die Darwin-Kinder
verstreut.
»Geht’s dir gut?«
»Nein… nein«, erwiderte sie langsam. »Mir geht’s nicht gut.
Und wie ist es bei dir?«
Mitch verzichtete auf eine Antwort. Ist wohl auch besser so, dachte Kaye.
»Ich bin wieder unterwegs.«
Das Gespräch stockte.
»Wo steckst du denn?«
»In Oregon. Mein Pferd hat schlapp gemacht und da hab ich gedacht, ich ruf dich mal an und frag nach, ob du vielleicht ein Paar… ach, ich weiß nicht… Hufeisen übrig hast.« Er klang noch erschöpfter, als sie selbst sich fühlte. Aber Kaye hörte aus seinem Ton noch etwas anderes heraus, das ihr plötzlich Hoffnung gab.
»Du hast Stella gesehen?«
»Ich durfte Stella besuchen. Bin ein wahrer Glückspilz, stimmt’s?«
»Geht’s ihr gut?«
»Sie hat mich fest umarmt und sieht recht gut aus. Sie hat geweint, Kaye.«
Kaye spürte einen Frosch im Hals, hielt das Handy von sich weg und hustete in die Faust. »Du fehlst ihr. Tut mir Leid, hab
‘ne trockene Kehle, brauche einen Schluck Wasser.« Sie ging in die Küche, um sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser zu holen.
»Wir fehlen ihr beide«, sagte Mitch.
»Ich kann nie bei ihr sein, kann sie nicht beschützen, wie soll ich ihr da fehlen?«
»Ich wollte dich nur anrufen, um dir von ihr zu erzählen. Sie wird langsam erwachsen. Gibt mir ein Gefühl von Ohnmacht, wenn ich daran denke, dass sie jetzt fast erwachsen ist und ich nie für sie da war.«
»Du kannst doch nichts dafür.«
»Was macht die Arbeit?«
»Ist bald beendet. Ich weiß nicht, ob die mir das abnehmen werden. Gibt zu viele, die noch in den alten Geleisen denken.«
»Robert Jackson?«
»Tja, der auch.«
»Jedenfalls hast du Glück, dass du an dem arbeiten kannst, was dir am besten liegt. Hör mal, ich…«
»Du hast das, was mit dir passiert ist, nicht verdient, Mitch.«
Wieder stockte das Gespräch. Und nicht verdient, so abgeschoben zu werden, fügte sie für sich hinzu und wandte den Blick zur leeren Zimmerdecke. »Du fehlst mir.« Sie presste die Lippen zusammen, um das Zittern zu unterdrücken.
»Was machst du in Oregon?«
»Eileen hat da irgendwas sehr Geheimnisvolles laufen, also hab ich die Ausgrabungen in Texas links liegen lassen. Ich hab dort eine Venusmuschel mit einem Wellhorn verwechselt – ich werde langsam alt, Kaye.«
»Ach Quatsch.«
»Du brauchst nur ein Wort sagen, dann komm ich auf direktem Weg nach Maryland.« Mitchs Stimme klang jetzt härter. »Das schwör ich dir. Lass uns Stella da ‘rausholen.«
»Hör auf damit«, erwiderte Kaye, allerdings mit plötzlich sehr weicher Stimme. »Ich würde ja gern, das weißt du doch, aber wir müssen uns an unseren Plan halten.«
»Du hast ja Recht«, sagte Mitch, während Kaye schlagartig klar wurde, dass er gar keinen Anteil am Pläneschmieden gehabt hatte. Vielleicht hatte Mitch bis jetzt nicht einmal gewusst, dass überhaupt so etwas wie ein Plan existierte. Ihre Schuld. Sie hatte ihren Ehemann und ihre Tochter, die Menschen, die ihr am meisten am Herzen lagen, nicht schützen können. Wer bin ich also, jemand anderen anzuklagen?
»Was treiben die Kinder denn so? Und in welcher Weise hat sich Stella verändert?«
»Sie bilden Gruppen, die sie Deme nennen. Die Schulen bemühen sich zwar, ihren Zusammenschluss und ihre Selbstorganisation zu verhindern, aber ich glaube, sie finden trotzdem Wege. Natürlich spielen Düfte und Gerüche dabei eine wesentliche Rolle. Außerdem hat Stella auch von neuen Arten der Sprache erzählt, aber uns blieb keine Zeit für Einzelheiten. Sie sieht gesund aus, ist aufgeweckt und wirkt nicht allzu niedergedrückt.«
Kaye konzentrierte sich so intensiv auf seine Worte, dass sie zu schielen begann. »Letzte Woche hab ich versucht sie anzurufen, aber die haben mich nicht durchgestellt.«
»Dreckskerle«, sagte Mitch mit krächzender Stimme.
»Geh und hilf Eileen, aber halte Verbindung mit mir. Ich hab’s wirklich nötig, ab und zu von dir zu hören.«
»Das sind ja gute Neuigkeiten.«
Kaye ließ das Kinn auf die Brust sinken und streckte die Beine aus. »Ich entspanne mich gerade«, bemerkte sie. »Wenn ich dir zuhöre, kann ich mich entspannen. Erzähl mir, wie sie aussieht.«
»Manchmal bewegt und verhält sie sich wie du, sie redet auch oft so. Und dann erinnert sie mich wieder an meinen Vater.«
»Das ist mir schon vor Jahren aufgefallen.«
»Aber sie ist auch eine völlig eigenständige Person, ein ganz eigener Typ. Ich wünschte, wir könnten selbst eine Schule aufmachen und dort
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