Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
»Ich habe keine Ahnung, wie lange das hier anhalten wird, aber was immer es auch sein mag: Es ist schon Menschen vor mir geschehen, viele Male, und hat die Geschichte der Menschheit geprägt. Möchten Sie denn nicht erfahren, wie es aussieht?«

    Als Roth die Bilder auf dem großen Monitor musterte, seufzte er.
    Inzwischen waren zweieinhalb Stunden vergangen, es war fast zweiundzwanzig Uhr. Kaye war siebenmal mithilfe modernster bildgebender Verfahren – nuklear-magnetische Resonanz, Positronen-Emissions-Tomographie und Computertomographie – untersucht worden. Roth hatte ihr über eine Infusionsleitung den so genannten Tracer, eine radioaktive Substanz eingespritzt, sie abgeschirmt, erneut gespritzt, sie wie ein Hähnchen am Bratspieß rotieren lassen und ihr Oberstes nach unten gekehrt. Eine Zeit lang hatte sie sich gefragt, ob Roth sich dafür rächen wollte, dass sie ihn mit dieser Sache belästigte.
    Schließlich hatte er ihr einen weißen Plastikhelm übergestülpt und einen letzten und – wie er behauptete – recht kostspieligen Scan mittels funktioneller Computertomographie durchgeführt.
    Undeutlich hatte er vor sich hin gemurmelt, dieses Verfahren erzeuge außerordentlich detaillierte Bilder, wobei zunächst der Hippocampus und, nach einer weiteren Drehung, das Stammhirn erfasst werde.
    Inzwischen saß sie wieder aufrecht da, allerdings war ihr leicht übel. Ihr Handgelenk war bandagiert, an Kopf und Hals hatten die Klammern Druckstellen hinterlassen. Irgendwann kurz vor dem Ende der Prozedur waren die Signale des Rufers einfach immer schwächer geworden, wie Kurzwellensignale aus Übersee, die sich nach und nach im Rauschen des Äthers verlieren.
    Trotz der wunden Stellen fühlte sich Kaye gelassen und entspannt, allerdings auch traurig, als sei gerade ein guter Freund abgereist. Ein Freund, den sie vielleicht niemals Wiedersehen würde.
    »Nun ja, was immer er auch sein mag«, bemerkte Roth,
    »jedenfalls redet er nicht. Keiner der Scans hat außerordentliche Sprachaktivitäten gezeigt, die über das normale Maß des inneren Dialogs und die Antworten auf die von mir vorgegebenen Fragen hinaus weisen. Sie haben ein bisschen nervös gewirkt, was ja nicht weiter überraschend ist –
    allerdings weniger nervös als andere Patienten. Vielleicht ist stoisch der richtige Ausdruck dafür. Die tieferen Regionen ihres Gehirns zeigen rege Tätigkeiten an, was auf eine recht starke emotionale Reaktion hindeutet. Werden Sie leicht verlegen?«
    Kaye schüttelte den Kopf.
    »Es gibt einen leichten Hinweis auf etwas wie einen Erregungszustand, allerdings würde ich es nicht unbedingt als sexuelle Erregung bezeichnen. Nicht so wie bei einem Orgasmus oder irgendeinem Verzückungszustand, wie man ihn beispielsweise bei jemandem finden kann, der bewusstseinsverändernde Drogen nimmt. Wir besitzen Aufzeichnungen – Filme – von Menschen, die meditieren, gerade Geschlechtsverkehr haben oder sich im Drogenrausch befinden, das schließt den Konsum von LSD und Kokain mit ein. Ihre Scans stimmen mit keiner dieser Aufzeichnungen überein.«
    »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man in dieser Röhre mit jemandem schlafen soll.«
    Roth lächelte. »Meistens tun das nur recht begeisterungsfähige junge Leute. – Hier kommt’s: die Ergebnisse der funktionellen Computertomographie.« Er vertiefte sich eingehend in die Bilder ihres Gehirns, die in Falschfarbendarstellung auf dem Schirm auftauchten: Felder in dunklen Grautönen, überlagert von plötzlich auftauchenden Vogelschwingen, so symmetrisch angeordnet wie bei einem Rorschachtest, hier und da berührt von kleinen schwarzen Flecken, die Stoffwechselaktivität verrieten – Landkarten der Gedanken, der Persönlichkeit und tief greifender unterbewusster Prozesse.
    »Also gut«, sagte er vor sich hin und hielt den Bilddurchlauf an. »Was ist denn das?« Er deutete auf drei pulsierende gelbe Flecken, etwas größer als ein Daumennagel, Ergebnisse eines Scans, den sie etwa zur Halbzeit des gesamten Untersuchungsverfahrens durchgeführt hatten. Leise vor sich hin summend, rief er ein Online-Archiv auf, in dem Darstellungen anderer Untersuchungen abgespeichert waren –
    manche davon schon Jahre oder sogar Jahrzehnte alt –, bis er offenbar auf das stieß, wonach er suchte.
    Roth schob seinen Stuhl so heftig zurück, dass das kratzende Geräusch von den Wänden widerhallte, und deutete auf das blau-grüne, ausgezackte Feld eines Kopfes, der klein und seltsam geformt war.

Weitere Kostenlose Bücher