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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sich liebevoll voneinander verabschiedet hatten, legten beide auf.
    Kaye blieb einen Augenblick im warmen gelben Licht des kleinen Wohnzimmers sitzen und musterte die kahlen Wände, die einfache Ausstattung der möbliert gemieteten Wohnung, die Stapel weißen Papiers. »Ich erlebe gerade eine Prägung«, flüsterte sie. »Irgendetwas sagt, dass es mich liebt und an mich glaubt, aber wie kann irgendetwas ein leeres Gehäuse füllen?
    Anders ausgedrückt: Wie kann irgendjemand oder irgendetwas Vertrauen zu einem leeren Gehäuse haben?«
    Als sie den Kopf zurücklehnte, spürte sie prickelnde Wärme.
    Mit einiger Scheu merkte sie, dass ihr Hilfe zuteil wurde, obwohl sie nicht darum gebeten hatte. Sie empfing das, was sie so dringend brauchte – jedenfalls einen Teil davon. Als Reaktion darauf ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf und brach in Schluchzen aus. Immer noch weinend, schlug sie ihr Bett auf, machte sich eine Tasse heißer Schokolade, schüttelte ein Kissen auf, stellte es gegen die Kopflehne, tauschte ihre Tageskleidung gegen einen Schlafanzug aus Satin und ging schließlich ins Wohnzimmer hinüber, um einen Stoß Computerausdrucke zu holen, den sie im Bett durchgehen wollte.
    Wegen der Tränen verschwammen die Worte vor ihren Augen, die sie kaum noch offen halten konnte, aber sie musste sich auf den kommenden Tag vorbereiten, wollte sich so gut wie möglich wappnen, alle Fakten parat haben.
    Für Stella. Für Mitch.
    Als sie nichts mehr aufnehmen konnte und die Müdigkeit ihr den letzten klaren Gedanken raubte, schaltete sie über Audiobefehl das Licht aus und drehte sich im Bett herum.
    »Danke dafür, dass du mir Hoffnung gibst«, sagte sie lautlos.
    Du bist die Hoffnung.
    Dennoch konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen: Warum tust du das? Warum sprichst du überhaupt mit uns Menschen?
    Sie starrte zuerst auf die gegenüberliegende Wand, dann auf die Bettdecke über ihren aufgestellten Knien. Plötzlich verlangsamte sich ihr Atem, während sich ihre Augen weiteten. Es kam ihr so vor, als blicke sie durch die dunkle graue Decke auf eine unendliche unsichtbare Quelle, die etwas verströmte, das sie nur als Liebe beschreiben konnte. Wie unzulänglich das Wort auch sein mochte, sie fand kein anderes dafür: Es war immer währende bedingungslose Liebe. Einen Augenblick lang jagte ihr das regelrecht Angst ein, sodass ihr Herz wie rasend schlug. Nie würde sie sich dieser Liebe als würdig erweisen können, nie etwas Vergleichbares auf Erden finden. Liebe, die keinerlei Bedingungen stellte, die kein Begehren, keinerlei Absichten kannte, absolut rein war.
    »Ich weiß nicht, was das bedeutet«, sagte sie, »tut mir Leid.«

    Kaye merkte, wie die Vision – so es denn eine war – sich ihr entzog und verblasste. Aber nicht, weil der Rufer ihr grollte, zornig oder enttäuscht war, sondern weil er diese Zeitspanne so bemessen hatte. Zurück blieb ein milder, friedlicher Glanz, der hinter ihren Lidern leuchtete, wie von Kerzen, die so groß waren wie Sterne.
    Dieses Wunder, dieses Ehrfurcht gebietende Wunder, ging über ihren Verstand. Sie bettete ihren Kopf auf das Kissen und starrte so lange in die Dunkelheit, bis sie in den Schlaf hinüberglitt.
    Kaum war sie eingeschlafen, träumte sie davon, hoch in den Bergen über ein Schneefeld zu laufen. Es machte ihr nichts aus, dass sie sich hier nicht auskannte und ganz allein war, denn sie wusste, sie war auf dem Weg zu jemandem, der Wunderbares verhieß.

    17
    Oregon

    Obwohl es gerade erst sieben Uhr morgens war, konnte man in der Wüste der Hochebene bereits die kommende Tageshitze spüren. Mitch überquerte den Parkplatz des Motels, schwang seine Tasche auf den Beifahrersitz des zerbeulten alten Lieferwagens und schirmte die Augen gegen die Sonne ab, die bereits über den niedrigen grauen Hügeln im Osten stand. Eine Stunde bis zum Spent River, dann noch eine halbe Stunde bis zum Außenlager. Die Wegbeschreibung hatte er von Eileen bekommen, die ihn nochmals ermahnt hatte: Dass du ja kein Wörtchen herauslässt. Zu niemandem. Weder zu Studenten, Ehefrauen und Freundinnen noch zu Hunden, Katzen oder Meerschweinchen, kapiert?
    Er hatte.
    Als er vom Parkplatz des Motel 50 auf die Straße bog, schrammte die Stoßstange über den Asphalt. Der alte Lieferwagen hatte die letzten paar tausend Kilometer seines Lebens vor sich; er roch nach verbranntem Öl und begann bereits, bei Steigungen blauen Rauch zu spucken. Mitch liebte große alte Laster und Autos und es würde ihn

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