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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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der Krankheiten. Wir wissen inzwischen, dass HIV-Retroviren Mutationen sind, die von einer Primatenart auf eine andere, auf uns, übergegriffen haben. Bei Schimpansen hat sich der Vorläufer von HIV zu etwas Harmlosem entwickelt, das kaum mehr als eine kleine genetische Last darstellt. Bei uns hat sich diese Mutation als höchst schädlich für unser Immunsystem, als tödlich erwiesen, weil es unsere Krankheitsabwehr untergräbt. SHEVA weicht davon in gewisser Hinsicht ab. Die ERVs, die wir bekämpfen, sind für den Organismus in keinem wesentlichen Aspekt nützlich.«
    Kaye fühlte sich wie auf einer Zeitreise – als seien dreißig Jahre Forschung wie weggewischt. Trotz riesiger Fortschritte weigerte sich Jackson, Positionen neu zu überdenken. Das, was ihm nicht in den Kopf ging, ignorierte er schlicht. Und damit stand er nicht allein. Mit den wissenschaftlichen Abhandlungen zur Virenforschung, die jedes Jahr neu herauskamen, hätte man das ganze Besprechungszimmer füllen können. Und bis zum heutigen Tag enthielten sie Thesen, in denen Viren und mobile genetische Elemente in Form eines Krankheitsmodells beschrieben wurden.
    Verschanzt hinter den dicken Mauern des traditionellen Denkens, fühlte sich Jackson sicher und geschützt vor den verrückten Wirbelstürmen, die Kaye auslöste.
    Cross wandte sich Sharon Morgenstern zu, der einzigen Frau im Gutachterausschuss. Morgensterns Spezialgebiete waren Fruchtbarkeitsforschung und Entwicklungsbiologie. Sie war eine nervös wirkende, magere Frau mit fliehendem Kinn, vorstehenden Zähnen, strähnigen blonden Haaren und weichem North Carolina-Akzent – dem Ruf nach eine alte Jungfer. Sie war auch Vorsitzende des Gutachterausschusses von Americol, der wissenschaftliche Aufsätze erst absegnen musste, ehe man sie bei Fachzeitschriften einreichen durfte.
    Cross hatte dieses interne Verfahren, bei dem Wissenschaftler ihre Kollegen beurteilten, zum Teil deswegen eingeführt, um zu verhindern, dass bei Veröffentlichungen Firmengeheimnisse preisgegeben wurden. »Sharon? Haben Sie irgendwelche Fragen, wo wir schon mal dabei sind, Robert durch die Mangel zu drehen?«
    »Bekanntlich haben sich bei Ihren Versuchstieren, nachdem sie mit den Teststoffen geimpft waren, auch wesentliche Geschlechtsmerkmale zurückgebildet«, begann Morgenstern.
    »Das kommt mir außerordentlich seltsam vor. Wie wollen Sie dieses Problem in den Griff bekommen?«
    »Wir haben bei Pavianen eine gewisse Rückbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale verzeichnen müssen«, erwiderte Jackson. »Was nicht heißt, dass es auch bei Menschen auftreten muss.«
    Ohne auf Morgensterns verärgerte Miene zu achten, ergriff Nilson erneut das Wort. Lasst die Frau ausreden, dachte Kaye, sagte aber nichts.
    »Dr. Jacksons Impfstoff könnte sich bei unseren Bemühungen, Viren in fremdtransplantiertem Gewebe zu neutralisieren, als äußerst wichtig erweisen«, erklärte Nilson.
    »Auch Dr. Rafelsons Bemühungen sind sehr viel versprechend. Seit mindestens fünfzehn Jahren suchen wir nach einer Möglichkeit, alle ERV-Gene in solchem Gewebe auszuschalten – es ist wie die Suche nach dem Heiligen Gral.
    Wenn ich hier sage, dass uns diese Misserfolge enttäuschen, ist das noch untertrieben.« Nilson rutschte in seinem Stuhl hin und her und sah auf seine Notizen, wobei er sich zur Seite beugte und wie ein Vogel, der ein Samenkorn beäugt, über den Brillenrand spähte. »Ich möchte gerne wissen, warum die von Dr. Jackson entwickelten Impfstoffe versagt haben.«
    »Nicht die Impfstoffe haben versagt, sondern die Organismen«, erwiderte Jackson. »Die Impfstoffe wirken, sie verhindern jegliche Übertragung von ERV-Elementen zwischen den Zellen.«
    Nilson grinste breit. »Also gut. Aber warum versagen die Organismen wieder und wieder? Genauer gefragt: Warum tritt Unfruchtbarkeit auf, sobald Sie deren virale Fracht löschen oder anderweitig beeinträchtigen? Mit dieser Fracht meine ich die krankheitsauslösenden Elemente innerhalb des Genoms.
    Müssten die Organismen nicht, gerade umgekehrt, vor Energie und Produktivität strotzen?«
    Jackson bat darum, die Projektionswand herunterzulassen, was Liz mit einem Seufzer quittierte. Kaye versetzte ihr unter dem Tisch einen sanften Tritt gegen das Schienbein.
    Jacksons Präsentation entsprach dem bekannten Muster: Innerhalb von drei Minuten benutzte er neun Akronyme und sechs frei erfundene wissenschaftliche Termini, die auch Kaye nicht bekannt waren, ohne irgendetwas zu erläutern.

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