Die Darwin-Kinder
eindrucksvoller Kontrast zu ihren Hängebacken und der Faltenlandschaft ihres Halses. Obwohl sie sich mit ihrer Stimme auch in einer überfüllten Kongresshalle mühelos Gehör verschaffen konnte, bewegte sie sich in ihren maßgeschneiderten Hosenanzügen mit der Grazie einer Ballerina und schaffte es irgendwie, alles und jeden mit ihrem Charme einzuwickeln. Wenn ihr etwas zu Ohren kam, das ihr nicht passte, ließ sie es sich kaum anmerken. Man sagte ihr nach, dass sie – ähnlich wie ein Rhinozeros – immer dann am gefährlichsten war, wenn sie sich nicht rührte und keinen Laut von sich gab.
Im Laufe der Jahre hatte die Geschäftsführerin von Americol und Eurocol zwar an Körperfülle zugelegt, auch ihr Gesicht war teigiger geworden, aber ihr Gang strahlte immer noch Anmut und Selbstvertrauen aus. »Also, lassen wir die Spiele beginnen«, sagte sie locker, während sie sich den Weg zum Fenster bahnte. Liz rückte ihren Stuhl vor, damit sie besser an ihr vorbei kam.
»Sie haben ja gar nicht ihre Lanze dabei, Kaye«, frotzelte Jackson.
»Benehmen Sie sich, Robert«, mahnte Cross, nahm neben Liz Platz und faltete die Hände auf dem Tisch. Jackson schaffte es, ein Gesicht zu ziehen, das sowohl angemessene Reue als auch Belustigung über den ungezwungenen Plauderton ausdrückte.
»Wir sind hier, um einzuschätzen, in wieweit unsere bisherigen Versuche, genetisch überlieferte Viren einzugrenzen und in ihrer Wirkung zu beschneiden, von Erfolg gekrönt waren«, eröffnete Cross die Sitzung. »Im Allgemeinen bezeichnen wir sie als ERVs – endogene Retroviren. Ebenso haben wir uns mit eng verwandten Dingen befasst, mit Transgenen, Transposons, Retrotransposons, der lateralen Übertragung von Viruspartikeln und so weiter – kurz gesagt: mit den mobilen genetischen Elementen, mit vagabundierenden Segmenten genetischen Materials. Wir dürfen unsere ERVs nicht mit anderen durcheinander bringen –
etwa mit dem Equus Rhinovirus, dem Ecotropic Recombinant Virus oder einem Virus, das wir alle von solchen Sitzungen kennen, mit dem Erregungs- und Rachedurst-Virus.«
Die Runde lächelte höflich, hier und da waren leise scharrende Füße zu vernehmen.
Cross räusperte sich. »Gewiss will hier niemand jemand anderen durcheinander bringen«, fügte sie mit einer Stimme hinzu, die um eine Oktave tiefer lag. Ihre Stimme neigte dazu, zwischen einem tremolierenden Sopran und einem weichen Alt hin und her zu schwanken. Viele hatten sie schon mit Julia Child verglichen, aber die Ähnlichkeit war nur oberflächlich.
Mit zunehmendem Alter und ihrem hennarot getönten Haar hatte Cross Julia längst hinter sich gelassen und war in ihre ganz persönliche, einzigartige Stratosphäre emporgestiegen.
»Ich habe mir die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Impfstoffe angesehen und natürlich auch die Projektberichte, die sich mit der Eliminierung von ERVs bei Schimpansen und Mäusen befassen. Dr. Jacksons Bericht war sehr umfangreich. Darüber hinaus habe ich die Forschungsgutachten der Arbeitsgruppen durchgesehen, die sich auf die Fruchtbarkeit und allgemeine Immunität spezialisiert haben.« Cross machte ihre Arthritis zu schaffen, das erkannte Kaye daran, wie sie ihre geschwollenen Handknöchel massierte. »Alle Berichte stimmen dahingehend überein, dass wir bei all unseren Vorhaben offensichtlich nur Misserfolge verzeichnen konnten. Aber wir sind ja nicht hier, um Leichenfledderei zu betreiben. Wir müssen entscheiden, wie wir von diesem Punkt aus weiter vorgehen wollen. Also, wo stehen wir?«
Bedrücktes Schweigen. Kaye starrte stur geradeaus und versuchte, sich nicht auf die Lippen zu beißen.
»Normalerweise werfen wir eine Münze und lassen den Gewinner den Anfang machen. Aber bis zu einem gewissen Grad sind wir ja alle mit dem vertraut, was diskutiert werden muss. Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, die Lage durch einige gezielte Fragen zu sondieren. Ich bestimme, wer den Anfang macht, einverstanden?«
»Wunderbar«, sagte Jackson lässig und hob die Hände von der Tischplatte.
»Wunderbar«, echote Kaye.
»Gut. Wir alle sind uns darin einig, dass es eine zähe Debatte werden wird. Dr. Nilson, bitte machen Sie den Anfang.«
Lars Nilson, ein Mann mittleren Alters mit runder Brille, war vor zwanzig Jahren für seine Forschung über Signalproteine, die die zelluläre Entwicklung steuern, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Bei Americol war er vor Jahren wesentlich an den Versuchen beteiligt gewesen, Probleme mit
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