Die Darwin-Kinder
Cross.
Zu ihrer Überraschung spürte Kaye den Schlag doch nicht so heftig wie erwartet. Jetzt war sie an der Reihe, im Rhythmus der Radaufhängungen des Taxis zu nicken.
»Ihre Arbeit bei mir ist beendet.«
»Na prima«, erwiderte Kaye angespannt.
»Ja, nicht wahr?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Kaye mit klopfendem Herzen. Was habe ich zu tun versäumt? Das, was ich allein nicht schaffen konnte.
»Was würden Sie bei Americol tun, wenn Sie bleiben würden?«
»Reine Forschung über hormonelle Aktivierung von retroviralen Elementen bei Menschen«, erwiderte Kaye, die sich immer noch an dem Vergangenen festhielt. »Ich würde mich auf mit Stress verbundene Signalsysteme konzentrieren. Auf die Übertragung von Transkriptionsfaktoren und regulierenden Genen in somatische Zellen durch ERVs. Ich würde die Viren als ganz alltägliche genetische Transport- und Regulierungssysteme untersuchen – Systeme, die dem Körper nützen. Würde den Nachweis erbringen, dass das Modell, nach dem Viren nur Krankheiten erzeugen, falsch ist.«
»Ein lohnendes Forschungsgebiet«, bemerkte Cross. »Für Americol ein wenig zu kühn, aber ich kann ein paar Anrufe tätigen und Ihnen anderswo eine Stelle besorgen. Allerdings glaube ich, ehrlich gesagt, nicht, dass Sie die Zeit dafür haben werden.«
Kaye zog die Augenbrauen hoch und presste die Lippen zusammen. »Wenn ich nicht mehr bei Ihnen beschäftigt bin, wie wollen Sie dann wissen, über wie viel Zeit ich verfügen werde?«
Cross lächelte, aber das Lächeln verschwand gleich wieder.
Mit finsterem Blick starrte sie aus dem Fenster. »Robert hat die falsche Waffe benutzt, als er sie treffen wollte«, sagte sie.
»Zumindest hat er sie in Gegenwart der falschen Frau eingesetzt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Im August sind es dreiundzwanzig Jahre, dass ich damit anfing, Risikokapital für meine erste Firma zusammenzutrommeln. Mein Stundenplan war gespickt mit Besprechungen und anstrengenden Arbeitsessen.« Ihr Gesicht nahm einen wehmütigen Ausdruck an, als erinnere sie sich an eine wunderbare alte Romanze. »Und dann kam Gott ins Spiel.
Zur falschen Zeit, harmlos ausgedrückt. Er traf mich so hart, dass ich nach Hampton fahren und dort eine Woche lang in einem Hotelzimmer abtauchen musste. Im Prinzip habe ich dabei das Bewusstsein verloren.«
Wie ein kleines Mädchen, das ein Geständnis ablegt, vermied sie den direkten Augenkontakt. Kaye beugte sich vor, um ihr Gesicht deutlicher sehen zu können. Noch nie hatte sie Marge Cross derart verletzlich erlebt.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welche Angst ich empfand.
Für mich war ER ein Anzeichen von Wahnsinn, von Epilepsie oder noch Schlimmerem.«
»Sie haben ihn als Mann empfunden?«
Cross nickte. »Erscheint unsinnig, bei zwei so starken Frauen wie uns, nicht? Damals hat mich das sehr gestört. Aber egal, wie beunruhigt, wie verängstigt ich auch war, wäre ich doch niemals auf die Idee gekommen, ein Radiologiezentrum aufzusuchen. Das war brillant, Kaye. Nicht gerade billig, aber brillant.«
Kaye betrachtete das Gesicht des Fahrers im Rückspiegel.
Offensichtlich bemühte er sich, nicht auf die Worte zu achten, die auf dem Rücksitz gesprochen wurden, versuchte, ihnen das Gefühl von Privatsphäre zu geben – jedoch ohne Erfolg.
»Liebe ist nicht das richtige Wort dafür, aber wir haben kein anderes. Es ist Liebe ohne Begehren.« Cross hob die Hand, um sich mit den perfekt manikürten Fingern die Augen zu reiben.
»Ich habs keinem Menschen erzählt. Jemand wie Robert hätte es gegen mich benutzt.«
»Aber es ist die Wahrheit«, sagte Kaye.
»Nein, stimmt nicht«, entgegnete Cross verdrießlich. »Es ist eine rein persönliche Erfahrung. Für Sie und für mich war sie real, aber das nützt uns nichts in dieser alten, grausamen Welt.
Vielleicht hat dieselbe Vision einen anderen Menschen dazu gebracht, alte Frauen als Hexen zu verbrennen oder, wie Jeanne d’Arc, Engländer umzubringen. Oder die gute alte Inquisition angekurbelt.«
»Das glaube ich nicht.«
»Wie wollen Sie wissen, ob nicht auch die Schlächter und Mörder eine Botschaft erhalten haben?«
Kaye musste ihr Recht geben.
»Ich habe so viel Zeit mit dem Versuch vertan, das alles zu vergessen. Und zwar einfach deswegen, weil ich die Arbeit tun wollte, die ich tun musste, um dorthin zu kommen, wo ich hin wollte. Manchmal war das eine brutale Angelegenheit, bei der ich die Träume von anderen mit Füßen getreten habe. Und jedes Mal, wenn mir
Weitere Kostenlose Bücher