Die Darwin-Kinder
vielleicht auf etwas Wichtiges gestoßen war, eine seltsame, verrückte, aber unbestreitbar wichtige Erkenntnis gewonnen hatte oder kurz davor stand.
Jurie vertrat die – nicht gerade neue – Auffassung, dass Viren in fast jedem Stadium der embryonalen Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen, jedoch in einem groben Maßstab.
Allerdings hatte er ein paar interessante Hypothesen dazu entwickelt, auf welche Weise das vor sich ging:
»Genomische Viren wollen beim großen Spiel mitmischen.
Aber wie es bei genetischen Spielern so ist, sind sie primitiv, beschränkt, haben weder Anstand noch Würde. Da sie nichts Großes bewirken können, greifen sie zu rätselhaften kleinen Aktivitäten, die das große Spiel duldet. Später ist es geradezu süchtig nach ihren subtilen Spielchen…
Von sich aus sind sie schwach, aber es kann passieren, dass sich endogene Viren auf eine sehr spezielle Form der Apoptose stützen, indem sie den Selbstmord einer Zelle vorprogrammieren. Zu bestimmten Zeiten exprimieren und präsentieren ERVs Antigene auf der Zelloberfläche. Daraufhin inspizieren die Agenten des Immunsystems die Zelle und töten sie. Indem die genomischen Viren koordinieren, welche Zellen auf welche Weise Antigene aufweisen, können sie auf recht grobe Weise bei der Formung des Embryos, ja selbst beim Wachstum des Körpers nach der Geburt mitmischen.
Selbstverständlich arbeiten sie daran, ihre Anzahl zu erhöhen und ihre Position in der betroffenen Spezies, im erweiterten Genom, zu verbessern. Das tun sie, indem sie trotz der ständigen, heftigen Angriffe des Immunsystems eine schwache, aber hartnäckige Kontrolle ausüben.
Und bei Säugetieren haben sie das Spiel gewonnen. Wir haben uns in einigen der entscheidendsten Aspekte unseres Lebens den Viren ausgeliefert, nur um unseren Babys Zeit zu geben, sich im Mutterschoß statt im beengten Ei zu entwickeln und ein ausgefeiltes Nervensystem herauszubilden. Ein Glücksspiel mit allen Chancen und Risiken. Jede Generation von Menschen ist dadurch erpressbar, dass sie den viralen Genen so viel schuldet. Es ist so, als nehme man ein Darlehen bei der Mafia auf…«
Maggie Flynn klopfte an Dickens offene Bürotür. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Eigentlich nicht, warum?« Dicken wandte sich in seinem Drehstuhl um. Flynn wirkte erregt und niedergeschlagen.
»Es hat sich was getan. Jurie hat den Campus verlassen und uns aufgetragen, uns nicht von der Stelle zu rühren. Ich glaube nicht, dass wir das schaffen. Wir sind auf so etwas einfach nicht vorbereitet.«
»Worum geht es überhaupt?«
»Wir brauchen den Rat eines Experten. Und das könnten Sie sein.«
Dicken stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen.
Plötzlich war er hellwach, sein Argwohn war geweckt.
»Welche Art von Rat soll das sein?«
»Wir haben einen neuen Gast. Und es ist kein Affe.« Flynn wirkte keineswegs glücklich über das, was dieser Neuzugang implizierte.
Wenn Maggie Flynn annahm, dass Jurie ihn ins Vertrauen gezogen hatte, warum sollte ausgerechnet er selbst sie dann über die wirkliche Situation aufklären? Flynns Passwort konnte ihnen beiden Zugang zu den Informationen verschaffen, die ihm selbst verwehrt wurden – so viel hatte er gestern gelernt, als er Presky in seinem Forschungslabor mit den Monotremata besucht hatte.
Flynn nahm Dicken mit nach draußen, führte ihn zu einem kleinen Elektrowagen und fuhr mit ihm um die fünf miteinander verbundenen Lagerhäuser herum, die den Zoo beherbergten. Hier im Freien, jenseits von Überwachungsgeräten, äußerte sie sich deutlicher.
»Im Gegensatz zu mir haben Sie schon mit SHEVA-Kindern gearbeitet. In medizinischer wie in ethischer Hinsicht befinden wir uns in einer schwierigen Situation. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Da ich hier die einzige verheiratete Frau bin, hat Turner mich damit beauftragt, ihr moralische Unterstützung zu geben und eine persönliche Beziehung zu ihr herzustellen… Aber, ehrlich gesagt, bin ich damit völlig überfordert.«
»Wovon reden Sie überhaupt?«
Flynn wirkte jetzt noch nervöser und brachte den Wagen zum Stehen. »Sie wissen gar nicht Bescheid?«, fragte sie mit schriller Stimme.
In Dickens Kopf begann es wie rasend zu arbeiten, denn er merkte, er war drauf und dran, eine einmalige Chance zu verpatzen. Sie haben schon mit SHEVA-Kindern gearbeitet…
Da ich hier die einzige verheiratete Frau bin…
Sie tuns tatsächlich, sie sind bereits dran. Er spürte, wie sein Puls sich
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