Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft wirkten sie leicht reserviert, was an traumatischen Erlebnissen in der Vergangenheit und der langen Zeit des Alleinlebens liegen mochte, denn bis zu ihren mittleren Jahren hatten sie die Gesellschaft anderer kaum gekannt.
    Konzept und Praxis der Deme entwickelten sich immer noch weiter, aber die bisher gebildeten Verbände stellten die ältesten und stabilsten aller sozialen Strukturen und Experimente dar, die das Leben in Oldstock prägten. Stellas Dem bestand aus sieben ständigen Partnern – drei Männern und vier Frauen –
    sowie zwölf wechselnden Mitgliedern.
    Normalerweise paarten sich Dem-Partner nicht miteinander, obwohl es durchaus vorkommen konnte, dass sie sich ineinander verliebten. Über diesen Punkt ließ sich Stella zwar sehr eindeutig aus, dennoch blieb offen, welche Konsequenzen das hatte. In Oldstock grassierte derzeit die romantische Liebe mit allem Drum und Dran. Verliebte schenkten einander getrocknete Früchte, falls erhältlich auch Parfüms, schnitzten kleine Kunstwerke füreinander, aber mit Sex hatten solche Vernarrtheiten nur selten zu tun.
    Offenbar war Sex für die Sheviten so wesentlich, dass sie den Zeugungsakt nicht den Zufälligkeiten einer Romanze überlassen wollten. Liebe war dabei schon im Spiel, aber nicht die Art von glühender Leidenschaft, die sich als so schnell vergänglich erweisen konnte.
    Im Spätsommer hatte es auf den Wegen und in den Wäldern manchmal so gerochen, als sei eine Schokoladenfabrik explodiert. Und in diesen Geruch hatten sich weitere Ausdünstungen gemischt, Spuren von Moschus und Zivet, die einem den Atem nahmen und in den Augen brannten. Überall konnte man eng umschlungene Paare unterschiedlichster Kombinationen – und manchmal auch Trios – sehen, die völlig ineinander versunken waren, sich zärtlich streichelten und dabei strahlten, sich miteinander verflochten, kicherten und penetrante Fieberdüfte produzierten. All das war erlaubt – aber kein Sex.
    Anfangs hatten Kaye und Mitch angenommen, einige der Paare und Trios seien vielleicht einfach noch zu jung, die Sechzehnjährigen hatten sie jedoch bald eines Besseren belehrt, denn außerhalb dieser romantischen Beziehungen hatten sie sehr wohl mit Partnern geschlafen, die fast immer anderen Demen angehörten.
    Diejenigen, die noch nicht in der Pubertät waren, konnten Juniorpartner in romantischen Zweier- oder Dreier-Beziehungen werden, ohne dass es besonders nach außen getragen wurde. Da die Jüngeren dabei vor allem Erfahrung sammeln sollten, war für sie Zurückhaltung angesagt. Jetzt schon zeichnete sich ab, dass die Liebe und neue Arten von Leidenschaft in der Gesellschaft der Sheviten andere als herkömmliche Rollen spielen würden, und die Häuser mussten dieser Entwicklung Rechnung tragen.
    Als Kayes Gedanken wieder an dem Punkt angelangten, über den sie jetzt auf keinen Fall nachdenken wollte, blickte sie zum trüben Himmel empor. Wie gern wollte sie auch weiterhin für ihre Tochter da sein, Mitch und Stella noch viele Jahre unterstützen. Aber die Spezialisten für Seuchenbekämpfung von den CDC hatten bestätigt, dass es tatsächlich ein Post-SHEVA-Syndrom gab. Es war bei Luella Hamilton und vielen anderen Frauen aufgetreten.
    Im Laufe der letzten Monate waren Kayes Fingerspitzen und Teile ihrer Waden taub und ihr Gang schwerfälliger geworden; Kraft und Ausdauer nahmen von Tag zu Tag ab.
    Sie hatte es niemandem in Oldstock erzählt, aber Mitch wusste es. Wichtige Dinge konnte Kaye nur selten vor ihm verbergen – es sei denn, er wollte sie gar nicht hören.
    Es war gerade eine Woche her, dass der Rufer wieder Fühlung mit ihr aufgenommen hatte. Es war ein kurzer Besuch gewesen, angenehm, aber keineswegs aufschlussreich, nur ein nettes Beisammensein. Sie hatte ihn gefragt, ob es ihr vergönnt sein werde, die Geburt ihres Enkels noch mitzuerleben.
    Genau wie früher hatte sie auf ihre Frage keine Antwort erhalten.

    Alle Frauen ihres Dems leisteten Stella im Gebärzimmer Beistand. Abwechselnd sangen sie, lasen ihr Geschichten aus Kinderbüchern vor, steckten die Köpfe mit ihr zusammen und rieben ihre feuchten Handflächen gegen ihre, um sie zu beruhigen und ihre Schmerzen zu lindern.
    Schließlich lehnte sich Stella zurück. Während ihre Augen fast in den Höhlen zu verschwinden schienen, gab sie einen langen, lauten Schrei von sich – durchdringend, wie eine ganze Opernarie. Gleich darauf roch es im Zimmer nach Salzwasser und Veilchen.

Weitere Kostenlose Bücher