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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Wald.«

    19

    Der Regen hatte wieder eingesetzt, war aber nur noch ein leichtes Nieseln. Kaye fuhr an und parkte unmittelbar nördlich von der privaten Asphaltstraße, die zu dem großen Steinhaus mit den weißen Säulen und seinen Anbauten führte. Der Himmel hatte sich so zugezogen, dass die Hausbewohner innen Licht gemacht hatten. Auf dem schwarzen Metallbriefkasten, der in Brusthöhe auf einer Ziegelsteinsäule montiert war, waren fünf golden glänzende Ziffern zu erkennen.
    »Das ist es«, sagte Mitch, während er durch die nasse Windschutzscheibe spähte und das Seitenfenster herunterkurbelte. Ein roter Lieferwagen mit Campingausrüstung war vor dem Haus abgestellt, andere Fahrzeuge waren nicht zu sehen.
    »Vielleicht kommen wir zu spät.« Kaye kämpfte mit den Tränen.
    »Wir haben nur zehn oder fünfzehn Minuten gebraucht.«
    »Nein, zwanzig. Vielleicht ist der Sheriff schon da gewesen und inzwischen wieder fort.«
    Mitch machte bedächtig die Tür auf. »Falls ich sie mir schnappen kann, komm ich sofort zurück.«
    »Nein«, erwiderte Kaye. »Ich bleibe hier nicht allein zurück.
    Das halte ich, glaube ich, nicht aus.« Ihre Finger umklammerten das Steuerrad, als sei es ein Rettungsseil.
    »Bleib bitte hier«, bat Mitch. »Ich komm schon klar. Ich kann sie tragen, du nicht.«
    »Du würdest dich wundern«, sagte Kaye und fügte hinzu:
    »Warum solltest du sie überhaupt tragen müssen?«

    »Damit’s schneller geht, nur deswegen.«
    Er öffnete das Handschuhfach, nahm ein in Stoff gewickeltes Bündel heraus und entfernte das Tuch, das nach Schmieröl roch. Die Pistole verstaute er in seiner Manteltasche. Sie besaßen drei Faustfeuerwaffen, die alle nicht registriert, also illegal waren. Eine Anklage wegen unerlaubten Waffenbesitzes war das Letzte, das Mitch und Kaye um den Schlaf hätte bringen können. Dennoch betrachteten sie die Waffen mit Vorbehalt, da sie wussten, dass sie einem ein falsches Gefühl von Sicherheit verliehen. In der letzten Woche hatte Mitch alle drei gesäubert und durchgeölt.
    Er holte tief Luft, stieg aus und ging zum Heck des kleinen Lasters. Kaye löste die Bremse und schob den Gang in den Leerlauf. Als Mitch den Wagen im leichten Nieselregen anschob, stöhnte er leise. Kaye stieg aus, um ihm zu helfen.
    Während sie den Wagen mit einer Hand lenkte, rollten sie ihn gemeinsam auf die Asphaltstraße, bis sie auf halber Höhe des Hauses waren. Kaye drehte das Steuerrad, sodass der Wagen wendete und schließlich den Weg zum Haus blockierte.
    Links und rechts war die Einfahrt von Hecken und Steinmauern gesäumt. Kein Fahrzeug, das hinein- oder hinauswollte, würde am Laster vorbeikommen. Kaye nahm wieder auf dem Fahrersitz Platz. Als Mitch ihr Gesicht in beide Hände nahm und ihre Wange küsste, drückte sie seine Arme.
    Gleich darauf ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf das Haus zu. In einem Anzug fühlte er sich nie wohl, und das war ihm anzusehen. Seine Schultern und Hände wirkten dann allzu kräftig und sein Hals zu lang. Zu seinem Gesicht passte einfach kein Anzug.
    Mit klopfendem Herzen sah Kaye ihm nach, während ihr hundert Dinge gleichzeitig durch den Kopf schossen.
    Die Säulen und die Veranda lagen im Dunkel, die Haustür war geschlossen. So leise, wie es die Schuhe mit den harten Sohlen zuließen, stieg Mitch die Stufen hinauf und spähte durch das hohe schmale Fenster rechts von der Tür.
    Kaye sah, wie er sich ohne zu klopfen umwandte, die Treppe wieder hinunter stieg und um die Hausecke, aus ihrem Blickfeld, verschwand. Sie begann zu schluchzen und presste ihre Handknöchel gegen Lippen und Zähne. Schon seit elf Jahren lebten sie in ständiger Alarmbereitschaft. Es war grausam. Und immer, wenn sie das Gefühl hatte, sich an die extremen Belastungen ihres gemeinsamen Lebens gewöhnt zu haben – wie heute Morgen, als sie sich bei der Arbeit an ihrem Aufsatz, beim Dösen vor dem Computer fast wie ein normaler Mensch, produktiv und zufrieden gefühlt hatte –, kam ihr plötzlich das Bild vor Augen, wie schnell sie all dies verlieren konnte. Ihr war klar, dass sie bisher einfach Glück gehabt hatten.
    Aber auch ihre schlimmsten Vorstellungen reichten kaum an diesen Albtraum heran.
    Mitch ging an dem säuberlich gestutzten Grasrand entlang und duckte sich, als er zu den Seitenfenstern des Hauses gelangte. Plötzlich hörte er ein Summen und leises Flügelschlagen, als flattere ein großes Insekt herum. Aber als er mit gerunzelter Stirn in den stürmischen,

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