Die Darwin-Kinder
heißt sie gar nicht so. Sie ist fast so alt wie ich.«
»Ist der starke Will noch hier?«
»Er mag den Namen nicht. Sie geben uns solche Namen, weil sie behaupten, wir würden stinken. Komm mit nach hinten. In nächster Zeit kann sowieso keiner von uns hier raus, stimmt’s?
Die haben mich hierher geschickt, damit ich nachsehe, wen der alte Fred sich diesmal geschnappt hat.«
Stella folgte Kevin in den hinteren Teil des langen Anbaus.
Sie kamen an vier leeren Zimmern vorbei, die mit Feldbetten, Klappstühlen und schäbigen alten Schränken ausgestattet waren.
Im hintersten Raum saßen drei Kinder um einen kleinen tragbaren Fernseher herum. Stella konnte Fernsehen nicht ausstehen, sie sah niemals fern. Ihr fiel auf, dass eine Metallplatte die Bedienungstasten abdeckte. Zwei Kinder, ein älterer Junge – Will, wie Stella annahm – und ein Mädchen, das höchstens sieben war, saßen auf einer zerschlissenen grauen Couch. Die Dritte im Bunde, ein Mädchen von neun oder zehn Jahren, hatte sich auf dem Fußboden in eine Decke gerollt.
Das Mädchen roch schlecht, nach irgendeiner Krankheit. Sie hustete in ihre Hand und wischte sie danach an ihrem T-Shirt ab, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
Will ließ sich von der Couch gleiten und stand auf. Nachdem er Stella argwöhnisch gemustert hatte, verstaute er die Hände in den Hosentaschen. »Das ist Mabel«, stellte er das jüngere Mädchen vor. »Oder auch Maybelle. Sie weiß es selbst nicht.
Das Mädchen auf dem Fußboden redet nicht viel. Ich bin Will und der Älteste hier. Ich bin immer der Älteste. Vielleicht bin ich überhaupt der Älteste unserer Sorte, der am Leben ist.«
»Hallo«, sagte Stella.
»Ein neues Mädchen«, sagte Kevin. »Riecht echt mitgenommen.«
»Allerdings«, bemerkte Mabel, zog die Oberlippe hoch und hielt sich die Nase zu.
Will richtete den Blick wieder auf Stella. »Ich weiß anhand deiner Flecken, wer du bist. Aber wie heißt du mit dem sonstigen Namen?«
»Vielleicht Rose oder Margarita«, witzelte Kevin.
»Meine Eltern nennen mich Stella«, erwiderte sie. Ihr Ton ließ erkennen, dass sie nicht an dem Namen hing, sondern ihn jederzeit ändern konnte. Sie kniete sich neben das kranke Mädchen. »Was fehlt ihr?«
»Es ist weder eine Erkältung noch eine Grippe«, erklärte Will. »Ich würde nicht allzu nah rangehen. Wir wissen nicht, woher sie kommt.«
»Sie braucht einen Arzt«, sagte Stella.
»Erzähl das der alten Mutter, wenn sie dir das Essen bringt«, schlug Kevin vor. »Quatsch, ist nur Spaß. Die würde nie was unternehmen. Ich glaube, die werden uns alle zusammen einliefern, alle auf einen Schlag.«
»Damit verdient Fred seine Kohle«, erklärte Will und rieb die Finger gegeneinander. »Kopfgeld.«
Als Stella das kranke Mädchen an der Schulter berührte, blickte es auf, sah sie an und schloss gleich darauf die Augen.
»Sieh nicht hin, es gibt da nichts zu sehen«, murmelte das Mädchen. Auf seinen Wangen zeichneten sich vage formlose Flecken ab. Freie Form. Als Stella den Arm kräftig drückte, wurde er schlaff. Während Stella das Mädchen, das sich inzwischen auf den Rücken gewälzt hatte, nochmals an den Schultern rüttelte, öffnete es die Augen zu Schlitzen, aber der Blick ging ins Leere. »Mami?«
»Wie heißt du?«, fragte Stella.
»Mami?«
»Wie nennt dich deine Mami?«
»Elvira«, sagte das Mädchen und hustete erneut.
»Haha«, bemerkte Will ohne jeden Humor. So ein Name war ja wohl ein blöder Witz.
»Hast du Eltern?«, fragte Kevin, tat es Stella nach und kniete sich auf den Boden.
Stella berührte Elviras Gesicht: Die Haut war heiß und trocken. Unter der Nase und hinter den Ohren war blutiger Schorf zu sehen. Stella tastete die Stelle unter dem Kinn ab, hob Elviras Arme an und fühlte die Achselhöhlen. »Sie hat eine Infektion«, erklärte sie. »Vielleicht so was wie Mumps.«
»Woher willst du das wissen?«
»Meine Mutter ist so was Ähnliches wie ‘ne Ärztin.«
»Ist es Shiver?«, fragte Will.
»Das glaube ich nicht. Shiver bekommen wir nicht.« Als sie Will ansah, spürte sie, dass ihre Wangen eine Botschaft übermittelten, die sie selbst nicht deuten konnte: vielleicht die, dass sie verlegen war.
»Sieh mich an«, sagte Will. Stella stand auf und blickte ihm direkt in die Augen.
»Weißt du, wie man sich auf diese Weise miteinander unterhält?«, fragte er, während seine Wangen sich mit Flecken überzogen, die gleich wieder verschwanden. Die Tupfenmuster, die schnell kamen
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