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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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acht oder neun Jahre alt sein mochte. Schon aus mehreren Metern Entfernung war Dicken klar, dass der Junge tot sein musste. Er stellte die Tasche ab, in der sich die Ausrüstung zur Probenentnahme befand, kniete sich mühevoll neben die verschmutzte Matratze, untersuchte den Jungen so nüchtern und respektvoll wie nur möglich und stemmte sich schließlich wieder hoch. Als DeWitt ihm ihre Hilfe anbot, schüttelte er energisch den Kopf. »Fassen Sie hier nichts an«, warnte er. »Yolanda hat gesagt, es müsste noch Pflegepersonal hier sein.«
    »Wahrscheinlich hat man die Kinder in die Sporthalle verlegt. Das Zentrum hat einen eigenen überdachten Sportplatz, am südlichen Ende.«
    Sie nahmen sich Zelle für Zelle vor. Entweder spähten sie durch die Spione oder drückten die schweren Stahltüren auf. In manchen lagen Leichen, die meisten standen jedoch leer. Eine schwarze Linie auf dem Boden markierte die Grenze zu dem Bereich, in dem die Kinder Zwangsjacken trugen oder besonderen Schutz brauchten: Hier begannen die Gummizellen, deren Türen sämtlich offen standen.
    In zwei Zellen stießen sie auf Leichen – eine weiblich, die andere männlich –, die in Zwangsjacken verschnürt auf Feldbetten lagen. Beide hatten unnatürlich große Köpfe und Hände.

»So etwas tritt nur bei SHEVA-Kindern auf«, sagte DeWitt.
    »Ich habe bisher nur drei Fälle dieser Art gesehen.«
    »Ein Geburtsfehler?«
    »Das weiß niemand.«
    Dicken zählte zwanzig Tote, bis sie zur Tür am Ende des Ganges gelangten. Es war eine Rolltür, die aus Eisenstäben und dicken Acrylplatten bestand.
    »Ich glaube, hier haben Jurie und Pickman die gewalttätigen Kinder unterbringen lassen«, sagte DeWitt.

    Irgendjemand hatte einen Stein in die Gleitschiene geklemmt, um zu verhindern, dass sich die Tür automatisch schloss. An der Wand blinkten ein rotes Warnlämpchen und eine Leuchtanzeige mit Fehlermeldung auf. Der Wachraum, der hinter dickem getönten Schutzglas lag, war leer. Ein Hammer hatte die Alarmsirenen zum Schweigen gebracht.
    »Wir müssen da nicht durch«, erklärte DeWitt. »Der Sportplatz liegt in dieser Richtung.« Sie deutete auf einen kurzen Gang zu ihrer Rechten.
    »Ich muss noch mehr sehen«, erwiderte Dicken. »Wo ist das Pflegepersonal?«
    »Bei den Kindern, die noch leben, nehme ich an. Ich hoffe es wenigstens.«
    Sie zwängten sich durch die schmale Öffnung. Alle Türen jenseits der Rolltür waren durch ein doppeltes System von Eisenstäben gesichert, das einerseits aus Querverstrebungen, andererseits aus Stangen bestand, die von der Decke bis zum Fußboden reichten und in stahlverkleideten Löchern verschwanden. In jeder Zelle befand sich ein einzelnes Kind, keines rührte sich. Eines, das wie erstarrt wirkte, blickte mit einem Ausdruck der Verwunderung zur Decke empor. Manche schienen zu schlafen. Es sah nicht so aus, als habe man sie in irgendeiner Weise versorgt. Sie stießen auf mindestens acht Kinder, hatten wegen der gesicherten Türen jedoch keine Möglichkeit nachzusehen, ob sie noch lebten.
    Keines der Kinder hatte sich bewegt.
    Dicken trat vom letzten mit dickem Schutzglas gesicherten Beobachtungsfenster zurück, lehnte sich mit dem Rücken an die Betonmauer, stemmte sich mühevoll hoch und sah DeWitt an. »Zum Hof.«
    Kaum hatten sie diesen Bereich verlassen, stießen sie nach etwa zehn Schritten auf zwei Krankenschwestern des Zentrums für Spezialtherapie. Sie hatten sich am Ende eines breiten Ganges, der rechts und links von speziell gepolsterten Picknicktischen gesäumt wurde, auf zwei Plastikstühlen ausgestreckt und teilten sich eine Zigarette. Beide waren über fünfzig, sehr korpulent, hatten fleischige Arme und große, dicke Hände. Ihre dunkelgrüne Schwesterntracht wirkte im Schatten der grellen Deckenbeleuchtung fast schwarz. Als Dicken und DeWitt in ihr Blickfeld kamen, sahen sie teilnahmslos auf.
    »Wir haben alles getan, was wir konnten«, sagte eine von ihnen, während ihr Blick hin und her huschte.
    Dicken nickte, um zu zeigen, dass er ihre Gegenwart registrierte – vielleicht auch ihre Tapferkeit.
    »Es sind noch mehr da draußen«, sagte die andere Schwester etwas lauter, als sie an ihr vorbeigingen. »Es ist fast schon Mitternacht, verdammt noch mal. Wir mussten mal Pause machen!«
    »Ich bin sicher, dass Sie Ihr Möglichstes getan haben«, erklärte DeWitt. Dicken fiel sofort der Gegensatz auf: DeWitts Stimme klang präzise, akademisch, gebildet, während die Schwestern eher praktisch dachten

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