Die Darwin-Kinder
Mitch nach Stella sah, die inzwischen unter der Bettdecke lag. Er fühlte Stellas Stirn. »Das Fieber ist zurückgegangen.«
»Vor etwa einer Stunde, glaube ich. Iris hat Tee gebracht und wir sind einfach nur bei ihr sitzen geblieben.«
Mitch betrachtete das schlafende Gesicht seiner Tochter, das so bleich auf dem himmelblauen Kopfkissen lag. Die Haarmähne, die es einrahmte, war feucht und verfilzt. Ihr Atem kam mühsam und stoßweise. »Wie steht’s damit?«
»Sie atmet schon die ganze Zeit so, seitdem das Fieber heruntergegangen ist, obwohl die Atemwege nicht schlimm verstopft sind. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Der Arzt hat gesagt, er würde noch mal kommen…« Sie blickte auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. »Er sollte eigentlich schon hier sein.«
»Er ist nicht gekommen«, sagte George. »Und ich glaube auch nicht, dass er noch kommt.«
»George möchte, dass ich mir die Nachrichten ansehe«, erklärte Mitch.
Kaye nickte und entließ ihn mit einem Winken; sie würde bei Stella bleiben.
George begleitete Mitch zum Arbeitszimmer, wo sich der flache, in die Wand eingelassene Fernseher befand. Er zeigte gerade Leute, die an einem eleganten Tisch aus Rosenholz saßen. Riesengroß erschienen auf dem Bildschirm Gesichter, die irgendwelche Worte von sich gaben… Mitch versuchte sich zu konzentrieren.
»Ich bin so aufgeschlossen wie jeder andere, aber das hier macht mir Angst«, erklärte ein Mann mittleren Alters mit Bürstenhaarschnitt. Da Mitch nicht oft fernsah, kannte er den Moderator nicht.
»Brent Tucker, moderiert für den Sender Fox«, klärte George ihn auf. »Er interviewt gerade einen Schularzt aus Indiana.
Dort ist unser Sohn, Kelly.«
»Haben wir nicht genau so etwas erwartet?«, fragte Tucker.
»Waren wir nicht genau deswegen mit der Unterbringung der Kinder in Spezialschulen einverstanden?«
»Das Filmmaterial, das Sie gerade gezeigt haben, die Aufnahmen von Eltern, die ihre Kinder abgeben, die sich endlich melden und kooperieren, bestärken uns sehr in unseren Bemühungen…«, sagte der Arzt.
Tucker unterbrach ihn mit strenger Miene. »Sie haben Ihren Posten heute Morgen verlassen. Warum? Aus Angst?«
»Ich habe dazu beigetragen, dem Stab des Präsidenten die Lage zu erläutern. Heute Nachmittag fahre ich zurück und nehme die Arbeit wieder auf.«
»Die Wissenschaftler, die wir in dieser Sendung befragt haben, weisen alle nachdrücklich darauf hin, dass die Kinder eine ernsthafte Bedrohung für die ganze Bevölkerung darstellen könnten, wenn man sie frei herumlaufen lässt. Und es sind immer noch Zehntausende da draußen, selbst jetzt noch. Ist das nicht…«
»Ich bin mit dieser Darstellung der Situation nicht einverstanden«, unterbrach ihn der Arzt.
»Nun ja, Sie haben Ihrer Schule den Rücken gekehrt, das sagt doch alles, meinen Sie nicht?«
Der Arzt klappte den Mund auf und wieder zu. Tucker, der die Augen weit aufriss, sah offenbar die Gelegenheit gekommen, den Arzt zum Abschuss freizugeben. »Man kann der Öffentlichkeit nichts vormachen. Die Menschen wissen, worum es hier geht. Am besten, wir sehen uns mal an, was unsere spontane Meinungsumfrage ergeben hat. Wie schätzt die Öffentlichkeit die Situation in diesem Moment ein?«
Auf dem Bildschirm erschienen die Ergebnisse der Umfrage in grafischer Darstellung. »Neunzig Prozent sprechen sich für die Verhaftung der Eltern aus, die eine Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen verweigern. Dieselben neunzig Prozent sind dafür, alle Kinder dorthin zu bringen, wo man sie unter ständiger Beobachtung hat. Und zwar sofort. – Neunzig Prozent!«
»Ich glaube nicht, dass so etwas überhaupt praktikabel wäre.
Wir haben doch gar nicht die nötigen Einrichtungen.«
»Wir haben die Schulen mit Steuergeldern errichtet. Auch Ihre Arbeit unterstützen wir mit Steuergeldern. Sie stehen im Staatsdienst, Dr. Levine. Diese Kinder sind die Folge einer grässlichen Krankheit. Was, wenn sie auf uns alle übergreift und nie wieder normale Kinder zur Welt kommen?«
»Plädieren Sie dafür, dass wir diese Kinder zum Wohle der Allgemeinheit ausrotten sollen?«, fragte Levine.
Mitch sah mit zusammengebissenen Zähnen zu, gleichzeitig schockiert und fasziniert, als sei er Zeuge eines Autounfalls.
»Das will ja nun wirklich niemand«, erwiderte Tucker mit einer Miene, als habe Levine seine Intelligenz beleidigt. »Aber es besteht Gefahr für die Gesundheit von uns allen. Hier geht es ums Überleben.«
Der Arzt
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