Die Darwin-Kinder
durch die Luft. »Wie viele sind gestorben?«
Eine solche Geste hatte Dicken schon einmal gesehen, vor Jahren, als all dies angefangen hatte. Er hatte erlebt, wie ein Schimpansenweibchen die Hand, nach Trost suchend, ausgestreckt hatte. Marian Freedman, die sich inzwischen mit Mrs. Rhine befasste, hatte nach der Hand gegriffen und versucht, das Schimpansenweibchen zu trösten. Genauso hielt jetzt De Witt die Hand der Frau fest in ihrer. »Wir wissen es nicht, meine Liebe«, erwiderte sie. »Am besten kümmern wir uns wohl erst mal um die Kinder hier.«
»Ich muss die Türen zu den Zellen öffnen lassen«, erklärte Dicken.
Die zierliche Frau schlug die Hand vor den Mund. »Wir sind dort nicht hineingegangen«, sagte sie und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Wir konnten sie nicht herauslassen, manche von ihnen sind gewalttätig. O Gott, ich hatte Angst davor, nach ihnen zu sehen.«
»Wenn sie keinen Kontakt mit Erwachsenen hatten, ist es umso wichtiger, dass ich ihnen Proben entnehme.«
Die Frau, die so zitterte, als leide sie unter Schüttellähmung, nahm die Hand vom Mund und starrte DeWitt an.
»Kommen Sie.« DeWitt fasste sie am Ellbogen und stützte sie beim Gehen. »Ich helfe Ihnen.«
»Was ist, wenn einige noch leben?«, fragte die zierliche Frau mit kläglicher Stimme.
Einige waren tatsächlich noch am Leben.
38
Pennsylvania
Mitch musterte den digitalen Empfänger in Mackenzies Jeep.
Kaye beugte sich zwischen die Vordersitze und berührte seinen Arm. »Ist es wirklich das, wofür ich es halte?«
»Scheint so. Ein Satellitenpeilgerät, gleichzeitig ein Weltradio. Bekommt jeden Sender rein, zeichnet auf und kann alles mindestens sechzig Minuten zurückverfolgen.«
»Wir sind schon zu lange verheiratet«, bemerkte Kaye. »Du fragst nicht mal, wovon ich überhaupt rede.«
»Ach ja, wirklich?«, gab Mitch zurück, wobei er Kayes Ton und Ausdrucksweise perfekt imitierte.
Stella lag reglos neben Kaye auf den Rücksitzen. Sie hatte nochmals Krämpfe gehabt, aber das Fieber war dabei nicht mehr in die Höhe geschnellt. Den Kopf in Kayes Schoß gebettet, schlummerte sie unter einer dünnen Kinderdecke.
Vor ihrem Aufbruch aus dem Haus der Mackenzies hatten sie nicht einmal eine Stunde geschlafen. Kaye hatte einen Albtraum gehabt, in dem irgendjemand, der ihr sehr am Herzen lag – vielleicht ihr Vater oder Mitch –, ihr vorgehalten hatte, sie sei eine Rabenmutter und ein schrecklicher Mensch.
Irgendeine unheimliche Instanz hatte ihr jede Unterstützung und damit jegliche Lebenskraft entzogen. Sie hatte das Gefühl gehabt, keine Luft mehr zu bekommen und ersticken zu müssen. Mühsam hatte sie sich wach gekämpft und danach nicht mehr einschlafen können.
Hinter ihnen kam über der Schnellstraße die Sonne heraus.
»Mach das Ding mal an«, sagte Kaye.
Als Mitch den Empfänger einschaltete, zeigte das Display am Armaturenbrett eine Karte, auf der ihr derzeitiger Aufenthaltsort mit einem roten Punkt markiert war.
Automatisch suchte das Radio nach einem Sender in Philadelphia. Die Morgennachrichten brachten gerade die Aktienkurse.
»Hat er…«
»George hat die Peilvorrichtung zur Diebstahlsicherung schon vor Jahren abgeklemmt«, sagte Mitch. »Ich hab’s überprüft. Sie ist außer Betrieb, man kann uns nicht orten. Wir selbst können das globale Positionierungssystem zur Suche nutzen, aber wir senden nicht. Wir empfangen nur.«
»Gut.« Kaye griff ächzend nach vorn, wobei sie Stellas Kopf verlagerte, und zog eine zusammenklappbare Fernsteuerung heraus. »Tolles Ding«, bemerkte sie.
Mitch musterte sie im Rückspiegel. Sie sah abgehärmt aus und ihre Augen glänzten unnatürlich. Von Stella, die leise atmete und neben Kaye unter ihrer Decke lag, konnte er kaum etwas erkennen.
»Wie geht’s dir inzwischen?«, fragte er.
»Ganz gut.« Sie befasste sich mit der Fernsteuerung und probierte ein paar Tasten aus. »Sieht mir ganz nach HFMI aus.«
»So einen Sender gibt’s doch gar nicht.«
»Hand-Fuß-und-Mund-Infektion. Ist normalerweise eine leichte Viruskrankheit, die bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt. Ich bin sicher, dass Stella dem Virus auch früher schon ausgesetzt war. Irgendetwas muss sich verändert haben. Was es auch sein mag, jedenfalls müssen wir Medikamente und Nährflüssigkeit besorgen.«
»In einer Apotheke oder Drogerie?«
Kaye schüttelte den Kopf. »Bestimmt ist die Krankheit inzwischen meldepflichtig. Jede Apotheke und Drogerie im Land wird in
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