Die Darwin-Kinder
legte die Hände auf die Tischplatte. »In keiner der mir bekannten Schulen hat die Krankheit auf das Personal übergegriffen.«
»Warum sind Sie dann nicht in Ihrer Schule, Dr. Levine?«
»Hier geht es nicht um mich, sondern um die Kinder, Mr.
Tucker. Und zu diesen Kindern werde ich zurückkehren.«
Mitch ballte die Fäuste so, dass sich die Fingernägel in die Handflächen gruben.
Tucker lächelte, wobei er perfekte weiße Zahnreihen zeigte, und wandte sich zur Kamera, die ihn in Nahaufnahme brachte.
»Ich vertraue auf die Menschen und auf das, was sie zu sagen haben. Darin liegt die Stärke dieser Nation. Und das entspricht auch der Philosophie des Senders Fox, der sich für eine faire und ausgewogene Berichterstattung einsetzt. Ich schäme mich nicht, genau das zu vertreten. Ich glaube, dass sich die Menschen jetzt instinktiv für die Bewahrung unseres Erbes einsetzen, und das ist neu. Es geht ums Überleben. Weitere Einzelheiten können Sie dem medialen Netz von Fox entnehmen. Berühren Sie einfach das entsprechende Feld auf Ihrem Bildschirm, wenn Sie unsere ausführlichen Informationen auf der Web-Site…«
George schaltete den Fernseher aus. »Unser Nachbar muss gesehen haben, wie Sie hier angekommen sind«, bemerkte er mit dünner, erstickter Stimme. »Wie er sagt, will er anzeigen, dass wir einem Virus-Kind Unterschlupf gewähren. Dazu noch einem kranken Kind.« Er klimperte mit einem Bund, an dem drei Schlüssel hingen. »Iris und ich besitzen ein Blockhaus in den Bergen, etwa zwei Stunden von hier. Es liegt an einem kleinen See. Wirklich hübsch, völlig abgeschieden. Es sind auch Lebensmittel da, die müssten mindestens eine Woche reichen. Die Schlüssel können Sie uns mit der Post zurückschicken. Ihrer Tochter geht’s ja auch schon besser, da bin ich mir sicher. Die Krise ist überwunden.«
Mitch versuchte, die Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen – und einzuschätzen, wie ernst es Mackenzie mit dem Rausschmiss war. »Aber mit ihrer Atmung stimmt was nicht.«
»Ich habe seit fünf Monaten nicht mehr gearbeitet«, sagte George. »Uns geht mittlerweile das Geld aus. Iris ist am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Wir können unser Haus nicht mehr als Treffpunkt oder Unterschlupf zur Verfügung stellen.
Dieses Viertel ist für die Wohlhabenden so etwas wie ein Platz an der Sonne, den sie schützen wollen. Wer hier wohnt, ist in der Regel alt, ängstlich und bösartig.« George sah auf. »Wenn die Leute vom FBI Sie hier finden, werden die Ihre Tochter irgendwo hinbringen, wo die Betreuung schlimmer ist, als Sie sich vorstellen können. An so einem Ort ist unser Kind, Mitch.«
Kaye kam herein und stellte sich neben Mitch. Als sie nach seinem Ellbogen griff, fuhr er zusammen. »Nimm die Schlüssel.«
George ließ sich plötzlich in einen Sessel fallen und schüttelte den Kopf. »Bleiben Sie hier, bis es hell wird. Jetzt schlafen die Nachbarn. Ich hoffe bei Gott, dass sie alle schlafen. Ruhen Sie sich ein bisschen aus. Aber dann müssen Sie hier weg, so Leid es mir tut.«
37
Ohio
Das Zentrum für Spezialtherapie war in einem langen, einstöckigen Gebäude mit besonders dicken Betonmauern untergebracht. Dicken und DeWitt gingen um die leeren Wohnwagen der Schule herum und überquerten den asphaltierten Platz, der von einem Dutzend weißer Lampen grell beleuchtet wurde.
Die Tür zum Zentrum stand weit offen. Ein wirrer Haufen von schmutzigen Laken und Gummimatratzen ragte so aus dem Eingang heraus, dass es aussah, als strecke das Gebäude die Zunge heraus. Rechts und links davon starrten zwei vergitterte, mit Maschendraht verstärkte Fenster wie seelenlose Augen ins Leere. Der Bau wirkte ausgestorben. Die Luft im Inneren, die etwas kühler war, stank penetrant. Unter den vielen widerlichen Gerüchen war eine Spur von Kieferdüften auszumachen: Raumspray. Während DeWitt zurückblieb und trotz Schutzmaske hustete, ging Dicken ungerührt weiter. Er hatte schon Schlimmeres gerochen. Sein Beruf als Virusjäger brachte es mit sich, dass er solche Dinge gar nicht an sich herankommen ließ.
Hinter dem Büro des Wachpersonals und den nicht abgesperrten Doppeltüren der Kontrollstelle befand sich ein langer Gang, von dem auf beiden Seiten Türen zu den Zellen abgingen. Etwa die Hälfte der Türen stand offen, ohne dass dabei irgendeine Regel zu erkennen war. Pflege- oder Wachpersonal war nirgendwo zu sehen.
Mitten im Gang lag eine Matratze, darauf der leblose Körper eines Jungen, der
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