Die Darwin-Kinder
Kaye sehr vorsichtig.
»Falls ich einschlafe, lasse ich zu, dass irgendetwas eindringt.
Durch eine kleine Ritze. Irgendetwas wird hereinkriechen und meine Familie umbringen.«
»Zum Teufel damit«, erwiderte sie, immer noch so sanft und leise, als könne schon ihr Atem ihn zerbrechen. »Wir sind stark, wir schaffen es. Stella geht es schon besser.«
»Ich bin völlig ausgebrannt, zerschlagen.«
»Bitte sag das nicht. Du bist stark, das weiß ich. Und ich entschuldige mich, wenn ich mich idiotisch verhalten habe.
Das macht die ganze Situation, Mitch. Sei nicht so streng mit dir und mir.«
Er schüttelte den Kopf. Es war ihm deutlich anzusehen, dass sie ihn keineswegs überzeugt hatte. »Du musst mich jetzt trösten«, bat er mit hohler Stimme. »Bring mich in das große Bett, stopf mich unter die Kuscheldecke und gib mir einen Gute-Nacht-Kuss. Ich komm schon wieder hin, es dauert nicht lange. Weck mich einfach, falls irgendwas mit Stella ist oder du mich brauchst.«
»Alles klar«, sagte Kaye. Als er aufsah und ihre Blicke sich trafen, fühlte sie sich unendlich traurig.
»Ich bemühe mich ständig«, sagte er. »Ich gebe euch beiden alles, was ich zu geben habe, immerzu.«
»Ich weiß.«
»Ohne dich und Stella wäre ich innerlich tot, das weißt du.«
»Ja.«
»Mach mich nicht kaputt, Kaye.«
»Nein, das verspreche ich.«
Als er aufstand, nahm Kaye seine Hand und führte ihn wie ein verängstigtes Kind oder einen uralten Mann ins Schlafzimmer. Während sie die Tagesdecke, Oberdecke und das Laken zurückstreifte, knöpfte sich Mitch das Hemd auf, zog die Hosen aus und blieb verloren am Bettrand stehen.
»Leg dich einfach hin und ruh dich aus«, sagte sie.
»Weck mich, falls Stellas Zustand sich irgendwie verschlechtert. Ich möchte dann zu ihr und ihr sagen, dass ich sie lieb habe.« Er sah sie mit leerem Blick an. Mit klopfendem Herzen drückte sie die Bettdecke um ihn herum fest und küsste ihn auf die Wange. Es kamen keine Tränen, sein Gesicht war so kalt und hart wie Stein. Mitchs Blut strömte zu irgendeinem Ort fern von ihr, nahm ihn dorthin mit, wohin sie ihm nicht folgen konnte.
»Ich liebe dich«, sagte Kaye. »Ich glaube an dich. Und an das, was wir getan haben.«
Auf diese Worte hin erwiderte er ihren Blick. Sie schämte sich, dass sie so viel Macht über diesen großen, starken Mann hatte.
Das Blut kehrte in seine Wangen zurück; unter ihren Lippen erwachten seine zum Leben.
Dann schlief er sofort ein, als habe jemand ein Licht ausgeknipst.
Kaye blieb mit weit geöffneten Augen neben dem Bett stehen und beobachtete ihn. Die Brust wurde ihr so eng, als hätten sich Stahlklammern darum gelegt. Sie war so aufgewühlt, als hätte sie ihre Familie um Haaresbreite von einer Klippe in den Abgrund gesteuert. Sie hielt Wache an seinem Bett, bis sie nach Stella sehen musste. Sie verabscheute das Gefühl, zwischen Mann und Tochter hin und her gerissen zu sein, verließ sich aber auf ihre Urteilskraft und ihre innere Natur.
Also tat sie schließlich die wenigen Schritte ins Wohnzimmer.
In der Hütte war es völlig dunkel.
»Was ist los?«
Kaye setzte sich auf dem Fußboden auf. Sie war neben Stella eingeschlafen, zwischen sich und dem harten Holzboden nur die große Verschlusslasche des Schlafsacks. Jetzt hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass außer ihrer Tochter noch jemand im Zimmer war.
»Ist da wer?«, flüsterte sie.
Von draußen waren Grillen und Frösche zu hören, außerdem summten große Fliegen um die Hütte herum.
Sie schaltete die Tischlampe ein, sah zum hundertsten Mal nach ihrer Tochter, stellte fest, dass das Fieber bedeutend gesunken und die Atmung regelmäßig war.
Sie dachte daran, Stella ins zweite Schlafzimmer zu tragen, aber dann hätte sie auch den Haken, an dem der Tropf aufgehängt war, drüben anbringen müssen. Außerdem schien sich Stella im Schlafsack ganz wohl zu fühlen, genauso wohl wie in einem Bett.
Kaye sah auch nach Mitch, der ebenfalls friedlich schlief. Ein paar Minuten blieb sie in der kleinen Diele stehen, dann lehnte sie sich gegen die Wand.
»Es wird schon besser«, teilte sie den Schatten mit. »Es muss einfach wieder besser werden.«
Abrupt drehte sie sich um. Einen Moment lang hatte sie den Eindruck gehabt, in der Diele jemanden zu sehen, einen Menschen, der ihr vertraut war und den sie liebte. Ihren Vater.
Dad ist tot. Mom ist tot. Ich bin Waise. Die einzige Familie, die ich habe, befindet sich in diesem Haus.
Sie rieb sich Stirn
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