Die Datenfresser
Ob sich nun ein Wachschützer oder nur eine Festplatte zum Speichern der Bilder am anderen Ende eines Videoüberwachungssystems befindet, ist aber für denjenigen, der aufgenommen wird, ohnehin nicht ersichtlich. Ist vielleicht ein Computer dafür programmiert, Bilder vieler Kameras algorithmisch nach Auffälligkeiten abzusuchen? Was davon wird wo gespeichert? Der Vorbeigehende kann es nicht einmal ahnen.
In Großbritannien etwa genügt schon das Tragen bestimmter Kleidungsmarken, um automatisch die Aufmerksamkeit des Sicherheitspersonals einer Einkaufscenter-Kette zu erregen. Wer dort mit einem Kapuzenpullover eintritt, gilt automatisch als verdächtig, da diese als bevorzugtes Kleidungsstück jugendlicher Krimineller gelten. Mit automatischer Erkennung der Logos von Marken oder Sportvereinen in den Kamerabildern, die nach Ansicht der Betreiber besonders häufig von Störenfrieden getragen werden, wird unerwünschten Shoppern der Besuch in der Folge durch ständige Ansprache durch den Sicherheitsdienst verleidet.
Systeme, die in Einkaufszentren nach verdächtig schnellen Bewegungen oder ungewöhnlich langem Aufenthalt fahnden, sind bereits heute im Einsatz. Ein typisches Beispiel ist die Erkennung von Autodieben in Parkhäusern. Jemand, der nach unverschlossenen Autos sucht oder nach solchen, in denen Wertgegenstände sichtbar abgelegt wurden, bewegt sich anders durch die Reihen der Fahrzeuge als jemand, der zielgerichtet sein abgestelltes Auto aufsucht. In Parkhäusern oder auf Parkplätzen werden daher die aufgenommenen Bilder in Echtzeit nach Personen durchforstet, die nicht direkt zu einem der Fahrzeuge gehen, sondern länger stehenbleiben oder ungewöhnliche Wege einschlagen.
Dabei können Bilder mehrerer Kameras algorithmisch kombiniert werden. Denn die automatische Verfolgung eines Objektes – etwa ein Auto – oder einer Person über verschiedene Kameras hinweg ist keine Science-fiction mehr. Die Software-Filter orientieren sich an der Kleidung, an deren Farbe, an auffälligen Mustern oder am Gang. Eine Gesichtserkennung kann dann entfallen, da auch der menschliche Gang als biometrisches Merkmal vermessen und zugeordnet werden kann. Die Proportionen und Bewegungen einer Person können dabei auch aus einiger Distanz noch gut erfaßt werden. Aktuell aufgenommene Bewegtbilder lassen sich zusätzlich mit bereits vorhandenen vergleichen, um weitere atypische Verhaltensmuster und Anomalien auszumachen.
Ein leichtes ist es auch, die ethnische Herkunft von Menschen im Kamerabild automatisch zu erkennen. Dunkelhäutige Menschen oder Asiaten lassen sich mit einfachen Algorithmen von »Weißen« unterscheiden. Vergleichbares gilt für das automatische Erkennen, ob ein Gesicht oder ein Gang zu einer Frau oder einem Mann gehören. Ethnisches Profiling, etwa in Form einer Aussortierung von Nicht-weißen zur verschärften Sicherheitskontrolle, wird insbesondere in den USA immer wieder debattiert. Auch hierzulande gab es bereits Vorschläge, Grenzkontrollen nicht mehr für alle in gleicher Weise durchzuführen. Die Gefahr der Erkennungssoftware wird hier augenfällig: Sollte sich das gesellschaftliche Klima hin zu offenem Rassismus wandeln, ließe sich der weitgehende Ausschluß der Betroffenen vom öffentlichen Leben mit wenig mehr als einem Software-Update in die Überwachungssoftware erledigen.
Die menschliche Komponente der Überwachung unterliegt mehr und mehr dem Kostendruck, der überall bei digitalisierten und dadurch rationalisierbaren Tätigkeiten anzutreffen ist. Zunehmend wird die eigentliche Arbeit der Überwachung des Bildschirms, wenn die Algorithmen eine Auffälligkeit detektieren, an für geringste Stundenlöhne übers Netz angemeldete Menschen delegiert. Die Überwacher können heute auch in China oder Indien sitzen – Hauptsache, sie kosten wenig Geld. Derzeit werden auf diese Weise hauptsächlich Kameras in Straßen, Läden oder Parkhäusern überwacht, in denen normalerweise wenig passiert. Wenn dann doch ein Ereignis auftritt, wird per Webbrowser-Klick der Wachdienst vor Ort alarmiert.
In einigen britischen Städten wurden gar die Überwachungskameras in der Nachbarschaft in das lokale Kabelfernsehnetz eingespeist, wodurch eine zusätzliche Komponente genutzt wird – der menschliche Voyeurismus. Statt mit den Unterarmen auf der Fensterbank die Straße im Blick zu behalten, können nun selbsternannte Blockwarte ihr gesamtes Stadtviertel vor dem heimischen Fernseher kontrollieren. Es mag
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