Die Datenfresser
Menschen geben, die nichts dagegen haben, wenn ihr Viertel derart überwacht wird. Es gibt jedoch etliche, die keine Lust haben, sich der Gnade von selbsternannten Hilfssheriffs auszuliefern, deren Mentalität oder Ordnungsvorstellungen zuweilen nur schwerlich in eine moderne Großstadt passen.
Die Freunde erkennen
Die nächste große Welle der Biometrieanwendung wird anrollen, wenn die sozialen Netzwerke Gesichtserkennungsfunktionen in ihre Angebote aufnehmen. Das weltweit größte soziale Netzwerk Facebook testet schon seit einigen Monaten Funktionen, die das automatisierte Finden von Freunden unterstützen. Bilder von Freunden, die man schon benannt hat, werden mit anderen Bildern aus den eigenen Fotogalerien verglichen. Vermutliche Treffer werden dem Nutzer zur Korrektur oder Bestätigung vorgelegt. Zusätzlich soll damit den Nutzern das Tagging – also das Zuordnen von Begriffen zu Fotos – durch Vorschlagsverfahren erleichtert werden.
Wenn nun neue Fotos hochgeladen werden, die Gesichter enthalten, vereinfacht sich der Prozeß des Taggings. Ursprünglich mußte jedes Gesicht auf jedem Foto eigenhändig beschriftet werden. Bei einem durchschnittlichen Fotoalbum nahm das viel Zeit in Anspruch. Durch die neue Prozedur entfällt das manuelle Identifizieren weitgehend. Nun werden die Gesichter der hochgeladenen Fotos automatisch analysiert und die Namen der abgelichteten Freunde sofort vorgeschlagen.
Die Software setzt dabei auf die Mithilfe des Facebook-Mitglieds: Bei Gesichtern von Menschen wird zunächst die Frage »Whose face is this?« gestellt. Was die maschinelle Intelligenz nicht zweifelsfrei feststellen kann, erledigt der Benutzer, dessen Gesichtserkennung noch immer weit überlegen ist. Die Erkennungssoftware arbeitete anfangs nur auf dem Niveau der typischen Gesichtserkennung in modernen Digitalkameras, die dazu dient, Gesichter scharfzustellen oder automatisch dann auszulösen, wenn alle Personen im Bild lächeln. Algorithmen können recht sicher detektieren, welche abgebildeten Formen ein Gesicht sind und ob es lacht oder nicht. Die automatische Erkennung geht aber einen Schritt weiter, denn die Gesichter werden bestimmten Menschen zugeordnet.
Wenn die Gesichtserkennungsalgorithmen großflächig Einzug halten, bedeutet dies das Ende der Privatheit für alle Fotos, die irgendwie ins Netz gelangen. Bedurfte es bisher noch eines fleißigen »Freundes«, der sich bemüßigt fühlte, alle Partybilder durchzusehen und die darauf Abgebildeten per Hand zu benennen, wird es zukünftig der Normalfall sein, daß Bilder mit Personen digital nach Namen durchsuchbar werden. Und je mehr Bilder einer Person zugeordnet sind, desto einfacher wird es, auch sie auf zukünftigen Bildern automatisch zu erkennen. Sobald ein Gesicht einmal aus mehreren Winkeln erfaßt und verdatet ist, steigt die biometrische Erkennungsleistung deutlich an.
Der nächste Schritt ist dann der Einzug in den Alltag durch Mobiltelefone. Es gibt bereits heute experimentelle Anwendungen, die zum Beispiel dafür gedacht sind, auf unkomplizierte Weise – einfach durch Knipsen des Gesichts mit dem Telefon – das Facebook-Profil des Gegenübers aufzurufen. Derzeit funktioniert das noch mehr schlecht als recht, der Fortschritt ist jedoch auch hier absehbar. Doch die Zeiten, in denen wir noch anonym in einem Café sitzen konnten, ohne von anderen Gästen – und sei es aus Langeweile – mit Hilfe des Mobiltelefons identifiziert zu werden, könnten uns in zehn Jahren vielleicht paradiesisch erscheinen.
Was heute noch nicht funktioniert, wird morgen nutzbar
Gerade biometrische Verfahren, die ohne Kooperation des Betroffenen funktionieren – wie Gesichts-, Iris-, Stimmerkennung und Bewegungsmusterprofile – profitieren von den Fortschritten der Technologie überproportional. Allein die Zusammenführung mehrerer Kameraperspektiven der gleichen Person ermöglicht eine drastische Steigerung der Identifizierungsgenauigkeit. Gesteigerte Computerleistungen, bessere Objektive und höhere Kameraauflösungen tragen ihr übriges bei. Es wäre also leichtsinnig, aus den derzeit mangelhaften Ergebnissen der Feldversuche zu folgern, daß die Technik nicht besser werden wird. Die Investitionen in biometrische Überwachungstechnologien sind enorm, nicht zuletzt von seiten der einzelnen Staaten und der EU . Das Ziel universeller und ubiquitärer Identifizierbarkeit jedes Menschen, egal ob im Netz oder auf der Straße, wird durchaus mit großem
Weitere Kostenlose Bücher