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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Aber einer der Obstmänner, ein ziemlich junger Typ, der manchmal quer über den Markt brüllte: »Äääääääpfel! Kauft sie, solange es noch erlaubt ist!«, der fand uns prima! Er gab uns eine Riesentüte Kirschen. Mindestens ein Pfund! Und die mampften wir dann, während wir über den Markt alberten, und spuckten die Kerne durch die Gegend. Ich versuchte, ganz gezielt in die offenen Einkaufstaschen oder Körbe der Leute zu treffen. Dille und Petra zielten vor allem auf die Köpfe der Leute. Manchmal blieb einer der Kerne in den Haaren von jemandem kleben, und dafür zollten wir dem entsprechenden Spucker dann großen Applaus!
    Einige der empörten Erwachsenen, die natürlich wussten, wer wir waren, hatten nichts Besseres zu tun, als sofort zu unseren Eltern zu rennen und alles zu petzen. Wir alle bekamen eine mehr oder weniger energische Standpauke zu hören. Nur Petras Eltern sagten nicht viel. Verglichen mit dem, was ihre Tochter sonst anstellte, erschien ihnen Kirschkernspucken als ziemliche Lappalie.
    Die Hungerleider waren ein einmaliger Auftritt. Unseren Obsthändler-Fan besuchten wir aber von nun an den Rest des Sommers so oft, wie es ging. Immer schenkte er uns eine große Tüte Kirschen und verabschiedete uns jedes Mal lauthals lachend mit den Worten: »In Deckung! Hier kommt die Kirschkernspuckerbande!« Und ganz ehrlich: Einmal habe ich eine Frau erschreckt zur Seite springen sehen, als sie das hörte. Das gefiel uns. Dabei ging von uns nun wirklich keine Gefahr mehr aus – wir verzogen uns auf unsere Wiese und spuckten die Kerne brav ins Gras. Der Name aber blieb: Wir waren die Kirschkernspuckerbande. Es gab uns das Gefühl, eine Einheit zu sein. Wie die Ritter der Tafelrunde.
    Wir wussten damals noch nicht, dass Einheiten eine verdammt wacklige Angelegenheit sind.

1972
    J eden Sonntag, kurz vor elf Uhr morgens, versammelten wir uns vor dem Roxy zur Matinee-Vorstellung. Was für ein Film gezeigt wurde, war uns ziemlich egal. Nur Susann blieb manchmal zu Hause, wenn’s ein Western war oder irgendetwas Gruseliges. Selbst von den Godzilla -Filmen, über die wir anderen uns johlend amüsierten, behauptete sie, Alpträume zu bekommen. Als es aber Ein toller Käfer gab, diesen seltsamen Film mit dem Wunderauto Herbie, löste sie sich gleich noch eine Karte für die 15-Uhr-Vorstellung. So toll fand sie den Streifen. Ich begleitete sie, obwohl ich Herbie eigentlich nicht besonders viel abgewinnen konnte. Ich meine: ein VW, der sich wie ein Haustier benimmt – das durfte mir, der an diesem Morgen gerade eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury gelesen hatte, doch gar nicht gefallen! Kinderkram, blöder!
    Bernhard hatte manchmal kein Geld für den Eintritt, aber einer von uns half ihm immer aus. Bernhard war das unangenehm, er bestand stets darauf, dass die zwei Mark fünfzig nur geliehen, nicht geschenkt seien. Und tatsächlich revanchierte er sich ein paar Tage später stets, indem er einem irgendetwas gab: einen Comic, eine Tafel Schokolade, ein Steckspiel. Wir wussten alle, dass er diese Sache bei Bolle klaute, sagten aber nichts.
    Der Besitzer des Roxy war ein alter Mann, ganz verhutzelt und verknittert, der schon morgens nach Schnaps roch. Er freute sich über jeden, der kam, und ließ deshalb selbst kleine Kinder in irgendwelche üblen Horrorschocker. Bei den Matinee-Vorstellungen avancierte er außerdem zu einem regelrechten Entertainer. Er setzte sich einen Zylinder auf, der glitzerte und funkelte, stieg auf die Bühne vor der Leinwand und erzählte ein paar Witze, von denen wir nicht einmal die Hälfte verstanden. Dann verlas er drei Nummern, die er aus seinem Hut zog. Wer eine dieser Nummern auf dem Abriss seiner Kinokarte hatte, durfte am nächsten Sonntag umsonst ins Kino. Wer zum ersten Mal in die Matinee-Vorstellung kam, wusste natürlich nichts von diesem Ritual und hatte seinen Eintrittskarten-Schnipsel womöglich bereits weggeworfen. Dille und Petra hatten sich deshalb immer unauffällig an den beiden Papierkörben platziert und die kleinen Fetzen heimlich eingesammelt. Manchmal saß jeder von uns mit drei, vier verschiedenen Zettelchen in der Hand da, die wir dann eifrigst durchblätterten, während Mister Roxy seine Nummern bekannt gab.
    Heute bekomme ich Wutausbrüche, wenn jemand sein Handy nicht ausschaltet, bevor er ins Kino geht. Damals aber waren wir sechs die lauteste Bande, die ein Vorführsaal je erlebt hatte. Wir feuerten die Leute auf der Leinwand an, wir lachten, dass die

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