Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Und eigentlich hatte Sven auch gar kein Problem damit. Er fände es okay, einen neuen Vater zu bekommen. Und er wünschte seiner Mutter, die überarbeitet war und viel stiller als früher und manchmal einfach nur so da saß und gedankenverloren in ihrer Kaffeetasse rührte – ja, er wünschte ihr ein neues Glück. Er liebte seine Mutter. Das Problem war nur, dass die Kerle, die sie anschleppte, sie im Allgemeinen nicht glücklich machten. Und Vatermaterial waren sie schon gar nicht.
Irgendwann hatte seine Mutter zu kichern aufgehört. Er hatte Bettwäsche rascheln hören. Und dann hatte der Mann gestöhnt. Ziemlich laut. Manchmal hörte er ein zischendes Pst! seiner Mutter dazwischen. Sven zog sich die Bettdecke über den Kopf.
Am nächsten Morgen hatte er den Mann dann gesehen. Am Küchentisch. Die Typen wurden immer hässlicher. Früher, vor fünf, sechs Jahren, hatte seine Mama manchmal noch so nette, junge Typen mitgebracht. Die waren witzig und gut angezogen und rochen gut. Aber dann wurden sie immer älter und mürrischer. Dieser hatte nur sein Unterhemd und eine Cordhose an, so dass Sven sehen konnte, dass er Haare auf dem Rücken hatte. Eklig sah das aus. Seine Mutter saß ihm gegenüber und trank Kaffee, im Radio sang Udo Jürgens. Als Svens Mutter ihren Sohn sah, lächelte sie, zog ihn zu sich heran und schob ihn dem Mann vor die Nase.
»Das ist Sven, mein Sohn«, strahlte sie.
»Hallo, Kumpel!«, sagte der Mann, klopfte Sven auf die Schulter, grinste pflichtschuldigst und widmete sich dann wieder seinem Leberwurstbrötchen. Sven wusste, dass er auch diesen Typ gleich wieder vergessen konnte.
1973
D ie Romanze zwischen Annegret und Dille währte drei Wochen. Es folgten Gundula, Uschi, Karin und Bettina – in dieser Reihenfolge, wenn ich mich recht erinnere. Dille erwarb sich den zweifelhaften Ruf, ein Casanova und Herzensbrecher zu sein. Und einmal hat er Sven und mir erzählt, dass er bei Bettina bereits bis zum Hub – so seine Bezeichnung für die weibliche Brust – vorgedrungen sei: »Toll fühlt sich das an«, erzählte er, »gar nicht so wabbelig, wie man denken würde. Und jetzt geht’s ja erst richtig los! Noch ein Jahr, dann werde ich mich in einen Schlüpfer pulen!«
»Wie? Pulen?«, fragte Sven, der im Gegensatz zu mir so tapfer war nachzufragen, wenn er etwas nicht verstand.
»Na, pulen !«, sagte Dille und rollte angesichts so viel Unwissenheit mit den Augen. »Mit dem Finger. Kleine Bohrung.«
Sven fragte nicht weiter. Und ich nickte wissend, wie Männer eben wissend nicken, wenn ihnen andere Männer etwas über kleine Bohrungen erzählen.
»Spätestens mit fünfzehn«, erklärte Dille weiter, »werde ich eine knattern!«
»Wow!«, sagte ich. Sven sah mich an, dann Dille, dann wieder mich und fand dann wohl, dass auch er etwas Respekt vor solch einem ambitionierten Plan zeigen sollte. »Yeah!«, sagte er deshalb. Und es klang mächtig bescheuert.
Ich lauschte Dilles Sexualstrategie mit aufrichtigem Interesse. Wer konnte schon mit Gewissheit sagen, ob mir Weisheiten wie »Titten muss man pressen, nicht quetschen!« nicht auch bald nützlich werden würden. Sven aber ging seit diesem Gespräch jeder weiteren Genitalanekdote unseres Freundes aus dem Weg. Ihm schien das Thema irgendwie unangenehm. Und mit Bernhard redeten wir darüber natürlich gar nicht erst. Das war nichts für ihn. Bernhard hatte sein Faible für Science-Fiction entdeckt. Er verpasste keine Episode einer nagelneuen Weltall-Serie namens Raumschiff Enterprise im Fernsehen und versuchte verzweifelt, uns für Androiden, künstliche Intelligenz und extraterrestrische Phänomene zu begeistern. Wir hörten nicht so richtig zu. Wir waren dreizehn, wir waren auf dem besten Wege, kernige Männer zu werden. Was interessierte uns solch Kinderkram wie Raumschiffe?
»Die reisen in andere Galaxien!«, ereiferte sich Bernhard. »Stellt euch vor: Captain Kirk und Spock und all die anderen – die verlassen die Milchstraße! Sie dringen in Welten vor, von denen wir nicht einmal etwas ahnen!«
»Ich finde deren Uniformhosen blöd«, sagte Sven. »Die sind viel zu eng! Da kann man sich bei einem Kampf doch gar nicht richtig drin bewegen!«
Bernhard seufzte.
Das Verhältnis zwischen Dille und Petra war etwas abgekühlt. Die beiden hatten sich irgendwie nicht mehr viel zu sagen. Petra, die neuerdings in bunt gebatikten Latzhosen, mit schlabbrigen Pullis und knöchelhohen Turnschuhen herumrannte, gab sich alle Mühe, ihr
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