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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Geschlecht zu verheimlichen. Aber es klappte nicht besonders, denn Petra hatte – was wohl jedes andere Mädchen gefreut hätte, sie aber unübersehbar wütend machte – einen ziemlich üppigen Busen bekommen. Und ihr Gesicht, das sie so gut es ging hinter ihren Zottelhaaren verbarg, war weich und zart und richtig hübsch. Fast schien es, als sei dies ein böser Witz des Lebens, den es sich mit Petra erlaubte, denn »hübsch« war natürlich das Letzte, was sie sein wollte! Doch so sehr sie auch rumpelte und fluchte, und selbst wenn sie auf den Bürgersteig spuckte, so konnte Dille doch nicht völlig vergessen, dass sie ein Mädchen war. Er konnte mit ihr definitiv nicht über seine amourösen Fortschritte palavern! Und das war nun mal sein Lieblingsthema. Ihre Rennräder, die Besuche im Fußballstadion … das war jetzt nicht mehr so wichtig. Immerhin: Wenn Dille seiner anderen neuen Leidenschaft, dem Rauchen, frönte, verkrümelte er sich nach wie vor mit Petra hinter eine Hausecke. Sie war die Einzige, die mitschmauchen mochte.

    Mit einem Mal war es passiert – ich hatte mich verliebt! Sie hieß Tanja und war in meinem Lateinkurs. Ich war mir sicher, dass ich mich verliebt hatte, denn immer wenn ich sie sah, wurde ich ganz hibbelig, und sie war der letzte Mensch, mit dem ich ein Wort hätte wechseln wollen; ich wäre knallrot geworden. Eines Nachmittags, als wir auf unserer Wiese am Luisenhof saßen, wo Bernhard in einem Stern -Heft blätterte, Susann – von Sven angehimmelt – auf der Gitarre House of the Rising Sun klimperte und Petra gelangweilt ein paar Büschel Gras ausrupfte, nahm ich Dille zur Seite. Ich schilderte ihm mein Dilemma, das er allerdings nicht wirklich verstand, weil Dille das Phänomen der Schüchternheit nicht einmal theoretisch fassen konnte.
    »Ich würde so gern mit Tanja gehen«, sagte ich.
    »Dann frag sie doch«, meinte Dille lapidar. Die Tatsache, dass sie Nein sagen, dass sie mich womöglich sogar auslachen würde, ihren Freundinnen kichernd erzählen könnte, dass diese Knalltüte von Piet ernsthaft glaubte, sie würde ihn für würdig erachten und ich fortan die größte Lachnummer des Schulhofs sein würde – all diese Ideen kamen Dille nicht. Ihm würde so etwas ja auch nie passieren.
    Ich sah Dille an. Er war fast einen Kopf größer als ich, er hatte sogar schon etwas Flaum auf der Oberlippe. Dille war kräftig, hatte ein kantiges Gesicht, beinahe so wie Clint Eastwood. Dille sah richtig gut aus. Ich dagegen war zu klein für mein Alter, hatte eine viel zu große, dicke Nase und war so schmächtig, dass selbst Petra irgendwann aufgehört hatte, mich zu schubsen, weil ich nämlich ständig umfiel. Ich war kein Mädchenschwarm, echt nicht.
    »Wer nicht wagt«, sagte Dille und dirigierte mich ein paar Schritte zur Straße, »der nicht gewinnt.« Er zog mich zu einer Telefonzelle, öffnete die Tür und fragte: »Wie heißt Tanja denn mit Nachnamen?«
    »Kartner«, stammelte ich.
    Dille blätterte im Telefonbuch, zog seinen Finger über eine der Seiten und sagte dann: »Kartner. Bramfelder Weg, stimmt’s?«
    Ich nickte. Dille wollte dort für mich anrufen! Beängstigend! Aber … auch sehr viel versprechend.
    Dille steckte zwanzig Pfennig in den Schlitz, wählte und sagte dann mit charmanter Stimme: »Guten Tag, Frau Kartner. Hier ist Piet Lehmann!« Er zwinkerte mir zu. »Ist Tanja da?«
    Ich riss die Augen auf!
    Omeingott!
    »Danke schön«, säuselte Dille, zerrte mich energisch in die Zelle und gab mir dann den Hörer. Er grinste.
    »Hallo?«, hörte ich die verwunderte Tanja auf der anderen Seite.
    »Ich, äh  … Hallo. Hier ist … äh , Piet.«
    »Oh, Tagchen!«. Sie klang nicht unerfreut.
    »Ich, äh  … also …«
    Tanja kicherte.
    »Hast du … Willst du … Ich meine, hast du Lust, morgen mit mir in … äh , in die Disco zu gehen?«
    »Im Haus der Jugend?«, fragte Tanja, immer noch freundlich.
    Ich nickte stumm. Dille gab mir einen Stoß in die Rippen. »Au! Ja!«, schrie ich.
    Tanja lachte. »Gern«, sagte sie. »Um vier?«
    »M-mh«, sagte ich und fügte dann, als Dille schon wieder seine Faust kreisen ließ, noch an: »Um vier. Toll.«
    »Bis dann«, sagte Tanja und legte auf.
    Dille wuschelte mir durch die Haare. »Alter Herzensbrecher«, kicherte er und ging zurück zur Wiese, um den anderen brühwarm von meiner ersten Liebesattacke zu erzählen.

    Mein Vater lachte. Er hatte mich beobachtet, wie ich drei verschiedene T-Shirts anprobierte

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