Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Wände wackelten, und immer wenn ein Mann und eine Frau im Film sich küssten, hielten wir uns demonstrativ die Augen zu und schrien: »Iiiiiih!« Nur Susann schrie nicht mit, die fand das kindisch.
Nach einer dieser Vorstellungen – wir hatten gerade Viva Las Vegas mit Elvis Presley gesehen und waren nicht wirklich begeistert – standen wir noch ein wenig im Foyer herum. Auf der anderen Seite des Raumes standen drei Mädchen, die in Dilberts und Bernhards Klasse gingen und ununterbrochen tuschelten und kicherten. Eine von ihnen, eine hagere Tussi mit einem langen Zopf, kam dann – sanft geschubst von den anderen beiden – zu uns herüber. Sie stellte sich vor Dilbert und sagte: »Annegret lässt dir ausrichten, dass sie dich liebt, und fragt, ob du mit ihr gehen willst.« Dilbert, der eine Woche zuvor gerade mal seinen zwölften Geburtstag gefeiert hatte, war cooler als Elvis. Er grinste schief, sehr männlich, wie ich fand, und sagte dann mit einer tiefen Stimme, die ich bei ihm vorher noch nie bemerkt hatte: »Klar.« Und dann drehte er sich wieder zu uns um, als wäre das eben die normalste Sache der Welt gewesen.
Petra funkelte Dille wütend an und starrte dann grimmig zu den drei aufgeregt schnatternden Mädchen hinüber. Als die Petras Blick bemerkten, steckte eine von ihnen ihr frech die Zunge heraus. Sven und ich mussten Petra gemeinsam festhalten, sonst hätte es ein Blutbad gegeben. Die drei Mädchen, von denen eine jetzt offiziell Dilberts Freundin war, flitzten schnell zum Ausgang. Bernhard starrte Dilbert nur an, und Dille, der die Aufmerksamkeit um ihn und sein aufkeimendes Liebesleben offenbar enorm genoss, sagte zu ihm: »Irgendwann kommt man um so etwas ja nicht mehr herum.«
Mich interessierte, was Susann von dieser ganzen Sache hielt. Als ich vorsichtig zu ihr hinüberschielte, trafen sich unsere Blicke. Sie sah mir direkt in die Augen. Und dann setzte sie schon wieder dieses seltsame Lächeln auf! Ich schaute schnell auf meine Schuhe.
Abends lag ich im Bett und dachte über Dille und Annegret nach und was konkret es wohl bedeuten möge, dass sie jetzt ›miteinander gingen‹. Es war natürlich stark anzunehmen, dass sie sich jetzt küssen würden. Ich versuchte, ein Bild von Annegret, die ich ja nur kurz gesehen hatte, heraufzubeschwören: Sie war ziemlich klein, recht hübsch, mit Locken. Ich versuchte, mich an ihren Mund zu erinnern, den Mund, den Dilbert jetzt küssen würde. Aber ich hatte keine Ahnung, wie genau er aussah. Stattdessen sah ich plötzlich Susanns Mund vor mir. Der war ziemlich groß, ich meine, es war keine monströse Ladeluke oder so etwas, es war aber auch kein piefiges Hamsterschnäuzchen. Susann hatte volle Lippen, so wie die Monroe. Und dann, obwohl ich es wirklich nicht wollte, machte ich mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was ich neulich im Schwimmbad bemerkt hatte: dass Susann einen Busen bekommen hatte. Natürlich nicht solch dicke Dutteln wie die Frauen, die heute im Kino um Elvis herumgetanzt waren, eher so kleine, ich weiß nicht … so negerkussgroß. Aber anders geformt, ein bisschen spitz irgendwie. Mir wurde klar, dass ich mir Susanns beginnende Brüste wohl genauer angeschaut hatte, als ich dachte. Und ich wurde rot, weil ich ahnte, dass Susann es bestimmt bemerkt hatte. Susann bemerkte alles , was ich tat.
Ich lag also da, zwölf Jahre alt, und dachte an Susanns Lippen, an ihre Minibrust, und mir fielen ein paar Sachen ein, die ich in den Büchern aus der Erwachsenenabteilung der Bibliothek gelesen hatte, Dinge, die ich nicht im Detail verstanden hatte, deren Grundlagen mir aber durchaus geläufig waren. Und … da war sie dann: meine erste Erektion!
Halleluja!
Ohne dass es mir jemals jemand erklärt hätte, fand ich sehr schnell heraus, wie man so eine Erektion wieder loswird. Am nächsten Abend kletterte ich bereits zielstrebig ins Bett, schob die Hand schon mal einsatzbereit in meine Pyjamahose und überlegte, wessen Busen ich mir denn heute vorstellen sollte.
* * *
Sven hatte die beiden schon in der Nacht gehört. Sie hatten sich bemüht, leise zu sein, aber manchmal konnte seine Mutter sich ein Kichern nicht verkneifen. Vielleicht war sie ein wenig beschwipst. Der Mann kicherte nicht, er murmelte nur gelegentlich etwas. Sven irritierte dieser Bariton, dieses Brummen. In dieser Wohnung hörte man nur selten Männerstimmen.
Natürlich war es nicht das erste Mal gewesen, dass Svens Mutter einen Mann vom Tanzen mitgebracht hatte.
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