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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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und schließlich das wählte, das über und über mit weißen Sternen auf blauem Grund mit roten und weißen Streifen bedruckt war: Ich trug die amerikanische Flagge auf dem Leib, was damals der letzte Schrei war. Ich hatte an meinen Haaren herumexperimentiert, sogar etwas vom Haarspray meiner Mutter genommen, um meinen platt anliegenden Mongo-Pony, wie Sven ihn nannte (aber nur, wenn Dilbert und Klaus nicht in der Nähe waren), etwas aufzurichten. Und dann hatte ich noch ein wenig vom Aftershave meines Vaters aufgetragen: Tabac . Ich dachte zumindest, es wäre wenig, aber als ich in die Küche kam, hielt sich meine Mutter lachend die Nase zu und sagte: »Puh!« Ich rannte sofort nach oben und wusch mir fünf Minuten lang das Gesicht, um zumindest einen Teil des Duftwässerchens wieder aus den Poren zu spülen. Mein Vater stand hinter mir. Er lächelte. Ich glaube, er war irgendwie stolz. Sein Sohn wurde erwachsen. Kurz bevor ich ging, steckte er mir noch fünf Mark zu: »Damit du sie auf eine Cola einladen kannst. Wie heißt sie denn?«
    »Tanja«, flüsterte ich.
    Mein Vater gab mir einen Knuff.

    Bernhard und Petra hätte man natürlich in die Jugenddisco prügeln müssen, aber Sven, Susann und Dilbert erwarteten mich bereits vor der Tür. Ich fand es gar nicht gut, dass sie mich bei meinem ersten Rendezvous beschatten wollten, aber was sollte ich tun? Sven zog mir sofort das T-Shirt ein kleines Stück aus der Hose: »Das darf nicht so eng anliegen, das muss sich ein ganz klein bisschen wölben«, sagte er. Und Dille gab mir den ernst gemeinten Rat, dass ich Tanja nicht sofort an die Titten fassen solle. Als ob ich das ernsthaft in Erwägung gezogen hätte! Susann sagte gar nichts, sie wirkte geistesabwesend.
    Als ich Tanja um die Ecke biegen sah, scheuchte ich die drei ins Haus der Jugend. Ich wollte nicht, dass alles so offensichtlich war, denn zweifelsohne hätte Dille sofort eine peinliche Bemerkung gemacht. Aber natürlich war es sowieso klar, worum es hier ging. Tanja wusste das. Und ich wusste, dass sie es wusste. Und trotzdem taten wir natürlich beide ganz harmlos, als wir uns begrüßten.
    »Hallo, Piet«, sagte sie nur und hakte sich bei mir ein, als wir in die Disco gingen.
    »Hallo«, murmelte ich, schweißgebadet. Tanja hatte auch ein T-Shirt an, ein gelbes, mit einem Smiley. Sie hatte es nicht ein Stück aus dem Hosenbund gezogen, aber trotzdem wölbte es sich. Weiter oben. Und zwar gar nicht mal so wenig! Ich schluckte, weil meine Kehle plötzlich ganz trocken geworden war.
    Wir kamen in den Tanzraum, dessen Fenster mit Krepp-Papier abgehängt worden waren und an dessen einem Ende eine Lichtorgel flackerte. Der Junge am Plattenspieler hatte A Horse with no Name von America aufgelegt.
    »Willst du etwas trinken?«, schrie ich Tanja über die Musik hinweg an.
    »Cola«, sagte Tanja und lächelte. Sie hatte ein sehr süßes Lächeln.
    Ich kaufte zwei Pappbecher Cola, zwanzig Pfennig das Stück. Wir würden beide an einem Magendurchbruch sterben, wenn ich die gesamten fünf Mark meines Vaters tatsächlich für Getränke ausgeben würde! Ich reichte Tanja einen Becher, wir tranken. Und dann erklang Crocodile Rock aus den Lautsprechern. Elton John! Den mochte ich! Ich stellte meinen Colabecher auf eine Fensterbank, atmete tief ein, wischte mir noch einmal die schweißnassen Hände an der Hose ab, zählte innerlich bis drei und nickte dann Tanja zu. »Willst du tanzen?«, brüllte ich und kam mir mächtig mutig vor – obwohl meine Stimme für einen Moment in dieses ärgerliche Kieksen abrutschte, das mich seit einigen Wochen quälte. Tanja stellte ihren Becher neben meinen. Und dann tanzten wir!
    Ich schaute Tanja genau zu, was für Bewegungen sie machte, und imitierte sie dann. Obwohl ich meiner Ansicht nach eine technisch akkurate Kopie ihrer motorischen Abläufe aufs Parkett legte, wurde ich jedoch den Verdacht nicht los, dass mein Tanz nicht einmal ansatzweise so gut aussah wie ihrer. Ich schlackerte und steppte mich unauffällig zwei Meter nach rechts und warf einen verschämten Blick in den Spiegel, der dort hing. Ja: Ich sah Scheiße aus! Ich tanzte wie Käpt’n Hirni!
    Sven, Susann und Dilbert standen in einer Ecke und beobachteten uns. Dille hatte offenbar gerade etwas Komisches über meine Karikatur eines Tanzstils gesagt, denn Sven lachte und musterte mich noch genauer. Ich spürte, wie ich knallrot wurde, was in dieser nur sporadisch durch eine Lichtorgel gestörten Dunkelheit aber Gott sei

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