Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
Vom Netzwerk:
Hose, bis ich mit einem mir hinterher ausgesprochen peinlichen Grunzlaut meinen ersten durch Fremdeinwirkung herbeigeführten Orgasmus hatte und Iris darob zufrieden kicherte.
    Als ich fünfzehn war, hatte ich zum ersten Mal ›richtigen‹ Sex. Mit Marie. Und wenn meine Defloration in irgendeiner Weise interessant gewesen wäre und nicht bloß ein paar Minuten unbeholfenes Gestocher und ein peinliches Schweigen danach, dann würde ich an dieser Stelle in aller Ausführlichkeit darüber berichten. Ehrlich.
    Trotzdem hat ›das erste Mal‹ etwas zutiefst Befreiendes. Man hat’s endlich geschafft. Und auch, wenn Mädchen weiterhin ein ungemein wichtiges Thema bleiben sollten, so waren sie doch endlich nicht mehr das Einzige, was mir im Kopf herumgeisterte. Ich war fünfzehn, hatte mich – wie Dille es gewohnt unfein ausdrückte – freigefickt und konnte einen Teil meiner Zeit, Energie und Gedanken nun auf die zweite große Aufgabe verwenden, die Jungen dieses Alters zufällt: Ich musste die Welt retten!
    Es war das Jahr der großen Ölkrise, und der amerikanische Außenminister Kissinger erwog allen Ernstes eine Militärintervention im Nahen Osten, um den Benzinpreis zu senken. Das Atomkraftwerk in Biblis wurde eingeweiht, die Israeli überfielen Beirut, die Roten Khmer wüteten in Kambodscha, in Chile putschten die Faschisten, in Griechenland das Militär. Die amerikanische Regierung erhöhte ihren Rüstungsetat ins Unermessliche. Und meine Mutter verlangte ständig, dass ich meine Haare schneiden lassen und zumindest in der Schule nicht mein Palästinensertuch tragen sollte. Es gab so verdammt viel, wogegen ich kämpfen musste!
    Mit fünfzehn glaubt man tatsächlich noch, man könne etwas verändern. Man fügt sich nicht dem offenkundigen Schwachsinn dieser Welt, sondern stellt sich ihm entgegen. Und weil einem deshalb ständig das Leben mit voller Wucht ins Gesicht schlägt, weil man die erstaunlichsten Dinge herausfindet, das Mögliche vom Unerreichbaren zu trennen lernt, weil man Triumphe und Rückschläge feiert, fühlt man sich mit fünfzehn so lebendig wie noch nie – und wie niemals wieder.
    Ich kaufte mir weiße Latzhosen im Arbeitsbekleidungsfachhandel und färbte und batikte sie in schwarz-lila-rotem Design. Ich schmierte mich mit dermaßen Mengen von Patschuliöl ein, als wollte ich alle Mücken und Mitmenschen dieser Welt auf größtmöglicher Distanz halten. Ich marschierte nahezu jedes Wochenende irgendwo mit – bei Ostermärschen, Anti-AKW-Demos, bei Salvador-Allende-Solidaritätsspaziergängen. Ich hängte mir Poster von Che Guevara an die Wand, hockte in meinem Zimmer auf den Knien, legte Ton, Steine, Scherben auf den Plattenteller und schüttelte, während aus meinen Boxen Macht kaputt, was euch kaputt macht dröhnte, unermüdlich meine Mähne, auf die ich so verdammt stolz war, weil ich sie jeden Tag erneut gegen meine Eltern durchboxte. Und abends schrieb ich wütende Artikel für unsere Schülerzeitung. Es waren radikale Anklagen gegen das System, die allerdings vor Drucklegung immer noch dem Schulleiter vorgelegt werden mussten. Und der beraubte sie dann stets aller griffigen Formulierungen, so dass die Texte gar keinen Sinn mehr machten, aus der Zeitung genommen und durch einen Bericht über die nächsten Bundesjugendspiele oder den immer mehr um sich greifenden Vandalismus im Sprachlabor ersetzt wurden.
    Ich glaubte wirklich an die Dinge, für die ich da stritt. Ich träumte von mehr Gerechtigkeit, von Frieden auf Erden und Versöhnung zwischen Völkern und Rassen. Aber ich wusste natürlich auch, dass ich einen ziemlich coolen Eindruck machte. Ich hatte insgeheim meine Zweifel, ob ich wirklich einen antibürgerlichen Widerstand ins Rollen bringen könnte – aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Mädchen mich und meine Kämpferattitüde echt scharf fanden.
    Mit meiner politischen Euphorie stand ich zumindest bei meinen Freunden ziemlich allein da. Dille hatte sich von dem Geld, das er über zwei Jahre beim Zeitungsaustragen verdient hatte, ein Mofa gekauft, was ihn in den Augen der Farmsener Mädchenwelt noch cooler erscheinen ließ als vorher. Deshalb hatte er weiß Gott etwas Besseres zu tun, als sich mit mir über das Schweinesystem zu empören. »So viele Weiber, so wenig Zeit!«, pflegte er grinsend zu stöhnen – und selbst Petra, die ihn früher bei solchen Machosprüchen immer schmerzhaft geknufft hatte, schaute nur noch resigniert mit den Augen rollend in den

Weitere Kostenlose Bücher