Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
in den Filmen immer. Sie zeigten den Männern, die sie liebten, dass sie sich auch einfach einen anderen nehmen könnten. Und wenn die Typen dann sahen, dass die Frauen mit einem anderen turtelten, dann kapierten sie plötzlich, was sie die ganze Zeit nicht wahrhaben wollten: dass ihre große Liebe stets direkt vor ihren Augen war.
Ob das bei Piet auch so sein würde? Sven wusste es nicht. Piet war ja nicht Rock Hudson oder so. Piet war ein bisschen schusselig.
»Meinst du wirklich?«, fragte Susann und wischte sich eine Träne aus den Augen.
»Klar«, sagte Sven, der es irgendwie toll fand, reife Ratschläge zu geben und außerdem alles getan hätte, um Susanns Tränen zu trocknen. »Wirst sehen, der flippt aus!«
* * *
Am nächsten Sonntag waren wir eine ziemlich große Gruppe, die im Foyer des Roxy stand. Dille hatte seine momentane Freundin mitgebracht, die Iris hieß, einen Minirock aus Jeansstoff anhatte, die ganze Zeit Kaugummi kaute und der Dille, wie er Sven und mir erzählt hatte, »demnächst an die Muschi fassen« wollte. Nein, ein Romantiker war Dille nicht.
Ich hatte vor einer halben Stunde Tanja abgeholt, die mir ein Begrüßungsküsschen auf die Wange gegeben hatte. Und dann hatten wir den ganzen Weg zum Kino Händchen gehalten. Ich grinste wie ein Mondkalb.
Tanja hatte die anderen freundlich begrüßt – und zumindest Bernhard und Dille hatten die Freundlichkeit erwidert. Sven hatte es vermieden, ihr in die Augen zu sehen, und Petra ließ keinen Zweifel daran, dass sie es zum Kotzen fand, dass unsere kleine Matinee-Truppe mittlerweile Bataillonsstärke annahm. Susann war nicht da, was aber keinen von uns wunderte: Heute sollte es Frankensteins Horrorklinik geben, einen ganz harten Schocker angeblich, mit abgetrennten Köpfen und so.
Aber dann kam sie doch!
Kurz vor elf, als wir gerade in den Saal gehen wollten, schritt Susann durch die Tür, strahlend und so hübsch wie noch nie. Sie hatte ein Kleid an, dunkelblau mit kleinen weißen Pünktchen. In ihre Haare hatte sie ein paar dünne Zöpfchen geflochten, was echt toll aussah, und ich glaube, sie hatte sich auch ein bisschen geschminkt: Sie sah irgendwie älter aus. Und sie kam nicht allein: Sie hatte Harry mitgebracht, den Schulsprecher aus der Neunten! Der war schon fünfzehn oder so! Harry war ein total cooler Typ, hatte lange Haare und sogar Koteletten und eine Motorradlederjacke mit einer aufgestickten Klapperschlange (»Boa constrictor«, korrigierte mich Bernhard später). Harry war Gitarrist in einer Band, die bei unserem letzten Schulfest gespielt hatte, lauter Hard Rock: Born to be wild und You really got me und Smoke on the Water .
Mir gefiel es gar nicht, die beiden zusammen zu sehen. Ich merkte, dass auch Tanja Harry ziemlich lange anschaute. Und ich fühlte mich plötzlich wie ein dummer, überflüssiger, kleiner Junge.
Der Film war wirklich deftig: Gleich am Anfang wurde einem Mann mit einer Machete der Kopf abgesäbelt. In Großaufnahme! Stark! Und das Beste war, dass alle Mädchen (außer Petra natürlich) das ganz furchtbar fanden. Tanja schnappte sich meine Hand, und kurz darauf drückte sie sich auch noch ganz fest an mich, vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter, um nicht auf die Leinwand sehen zu müssen. Ich hielt sie ganz doll fest und strich ihr dabei über den Rücken. Der Wahnsinn – ein dreifach Hoch dem Horrorgenre!
Iris kreischte ständig, ganz furchtbar schrill, und irgendwann fing Dille an, wild mit ihr herumzuknutschen, was wir alle sehr begrüßten, weil das Iris endlich das Maul stopfte.
Susann hatte am Anfang ein paar Mal aufgeheult. Aber dann hörte ich nichts mehr von ihr. Sie saß vier Plätze von mir entfernt, natürlich neben Harry, und irgendwann wurde ich neugierig. Ob sie und ihr Typ jetzt auch herummachten? Irgendwie gefiel mir der Gedanke nicht. Ich beugte mich ein Stück vor und schaute möglichst unauffällig in ihre Richtung. Susann saß ganz steif da und starrte auf die Leinwand. Harry knutschte ihr am Hals herum. Irgendwann bemerkte Susann meinen Blick und schaute zu mir herüber. Sie grinste, etwas verkrampft, wie mir schien.
Ich fühlte mich ein bisschen komisch. Ich sah es nicht gern, was ich gerade sah. Aber dann spürte ich Tanjas Hand, die meine hielt, und jetzt gerade wieder zudrückte, weil auf der Leinwand irgendetwas Spannendes passiert war. Und das fühlte sich gut an, aufregend, und ich dachte: »Ach, was soll’s?«, und lächelte Susann an. Ich glaube, ich habe ihr
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