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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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sogar kumpelhaft zugezwinkert.
    Dann ging alles ganz schnell: Susann sprang plötzlich auf, drängelte sich an Harry vorbei und rannte aus dem Kino. Wir alle sahen ihr verblüfft nach, nur Sven stand auf und folgte ihr.
    »Susann stellt sich immer so an bei Gruselfilmen«, flüsterte ich Tanja zu. Und dann legte ich meinen Arm um ihre Schulter, und sie lehnte sich mit dem Kopf an mich.
    * * *
    Der Papierkorb war aus Metall. Das war praktisch, denn so konnte er weder Feuer fangen noch schmelzen. Direkt neben dem Papierkorb hatte Susann ein kleines Häufchen aufgetürmt: Fotos, Briefe, Ansichtskarten … alles, was sie an Piet erinnerte. Erst jetzt merkte sie, wie viel Zeug sich im Laufe der letzten zwei Jahre angesammelt hatte: Da war der Zettel, auf dem Piet einmal gedankenverloren kleine, gnubbelige Comic-Männchen gekritzelt hatte und den sie heimlich, als gerade keiner hinschaute, in ihrer Tasche hatte verschwinden lassen. Da waren allerlei Eintrittskarten aus dem Roxy, auf deren Rückseite Susann sorgfältig notiert hatte, welchen Film sie damit gesehen hatte und wie viele Plätze sie dabei von Piet entfernt gesessen hatte. Bei den Vorstellungen, in denen sie direkt neben ihm gesessen hatte, hatte sie ein rotes Herz auf die Rückseite der Eintrittskarte gemalt. Einmal, bei diesem saublöden Science-Fiction-Film 2001 – Odyssee im Weltraum , der gar keine richtige Handlung hatte, hatte sich Piet wie selbstverständlich neben sie gesetzt, ohne dass sie sich selbst geschickt platzieren oder strategische Lücken in der Reihe lassen musste. Sie wusste, dass sie auf dieses Ticket ein ganz großes, besonders dickes Herz malen würde. Und als der Kinobesitzer damals die Gewinn-Nummern aufgerufen hatte und sich ausgerechnet diese Eintrittskarte als Gewinn-Ticket entpuppte, da hatte sie es einfach für sich behalten.
    »4323!«, rief der Kinomann mit dem Zylinder. »Irgendjemand muss die Nummer doch haben!«
    Doch Susann lächelte nur. Dieses Ticket würde sie nicht herausrücken!
    Aber jetzt würde sie es verbrennen! Zusammen mit all den anderen Eintrittskarten, zusammen mit Piets blöden Männchen, die bei näherer Betrachtung ziemlich krakelig und gar nicht so witzig aussahen, wie sie bisher immer fand, zusammen mit all den Fotos, auf denen er zu sehen war und auf denen er meist den Kopf so niedlich … nein, so dämlich schief legte, zusammen mit den beiden Ansichtskarten, die er ihr mal aus dem Urlaub geschickt hatte, zusammen mit dem Stadt-Land-Fluss-Zettel, auf dem Piet mal Ohio als Fluss eingetragen hatte und dann eine halbe Stunde lang auf seine 20 Punkte beharrt hatte, obwohl Bernhard sogar einen Atlas bemüht hatte, um Piet dessen Irrtum zu belegen.
    Susann warf all diese Dinge mit großer Geste in den metallen Papierkorb. Dann trug sie ihn hinaus auf den Balkon, holte das Feuerzeug vom kleinen Beistelltischchen im Wohnzimmer und schaute noch einmal in den Kübel voller Devotionalien. Sie würde Piet immer mögen, aber sie würde ihn nicht mehr lieben! Das schwor sich Susann in diesem Moment. Denn jemanden zu lieben, an dem diese Liebe einfach abprallte, das war sinnlos und schmerzhaft. Susann schnaufte einmal kurz, sich selbst ihre Entscheidung bestätigend, und hielt dann den Zettel mit den Kritzelmännchen in die Flamme des Feuerzeugs. Als er richtig brannte, warf sie ihn in den Papierkorb. Ihre Augen wurden feucht, als es in dem Metallkübel zu lodern begann und sich die Hitze in eines der Fotos fraß und langsam Piets Gesicht verschmorte.
    In der obersten Schublade von Susanns Schreibtisch, unter dem Block mit dem Millimeterpapier und dem Etui mit dem Zirkel lag noch das Foto, das Susann einmal von Piet in der Eisdiele gemacht hatte. Darauf hatte Piet einen kleinen Bart aus Schokocreme auf der Oberlippe. Er lachte, und seine Augen funkelten dabei. Susann liebte dieses Bild. Und sie zwang sich, nicht daran zu denken, weil sie sich sonst nicht einreden konnte, dass sie einfach nur vergessen hätte, es mit den anderen Dingen zu verbrennen.

1975
    E s wird niemanden überraschen, dass meine Romanze mit Tanja gerade mal sechs Wochen währte. In diesem Alter ›bindet‹ man sich bekanntlich nicht, sondern hangelt sich von Erfahrung zu Erfahrung. Und ich hangelte, oft zu meiner eigenen Überraschung, ziemlich viel: Mit Tanja habe ich geknutscht. Dann kam eine gewisse Margret, deren Busen ich anfassen durfte. Lilo hat mich die Hand in ihren Schlüpfer stecken lassen, und Iris rieb ihr Bein so lange an meiner

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