Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
konventionelle Jahre als Großeltern einstellen darf. Auch wenn man erst fünfunddreißig ist.
Dille hatten wir eine Woche lang nicht gesehen. Petra meinte, er denke nach. Sie habe ihm gesagt, wenn er kein Vater sein wolle, dann sei das okay. Sie wolle ihn ganz sicher nicht dabeihaben, wenn er es nicht aus Überzeugung tue. Ganz cool sollte es klingen, so wie sie es sagte. Doch wir wussten, dass sie innerlich fast platzte vor Angst, er könnte ihr großzügiges Angebot tatsächlich annehmen. Sie liebte diesen Kerl. Nicht wie fünfzehnjährige Mädchen sonst lieben, so halb gar und kitschverschmiert, sondern tatsächlich wie eine richtige Frau. Mit dem ganzen dazugehörigen Schmerz.
Wir anderen fanden das Ganze dagegen irgendwie unwirklich. Natürlich taten wir alle sehr reif und erwachsen und diskutierten es so, wie wir unsere Eltern immer über derlei gravierende Dinge diskutieren hörten. Wir spielten Erwachsensein. Wir inszenierten uns selbst in einem kleinen Kammerspiel. Aber ich weiß, dass nicht einer von uns wirklich die ganze Tragweite der Situation begriff. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige war, der dachte: Wir sind doch selbst noch Kinder. Und: Das geht doch nicht.
Sven und Susann, die ja sonst alle Kommunikation mit Petra eher kurz hielten, erkundigten sich ausgiebig nach ihrem Wohlbefinden. Susann wollte wissen, ob sie schon Morgenübelkeit habe und Sven, der Dödel, fragte, ob das Baby schon zappele. »Momentan«, sagte Petra und lächelte, »ist es ungefähr so groß wie eine Cashewnuss.«
»Und?«, hakte Sven allen Ernstes nach. »Zappelt es?«
Wir alle lachten laut auf. Ein befreiendes Lachen. Nur Bernhard, der die ganze Zeit nicht ein einziges Wort gesagt hatte, erhob sich in diesem Moment plötzlich und sah uns alle ernst an, ganz lang. Wir dachten, er wolle etwas sagen, und warteten. Doch Bernhard blieb stumm. Es war unübersehbar, dass gerade etwas ganz Großes, etwas unglaublich Wichtiges in seinem Kopf passierte. Mindestens eine Minute verharrten wir alle reglos. Es war unheimlich! Bernhard stand in der Mitte des Raumes, musterte uns alle, die wir auf dem Boden zu seinen Füßen saßen, mit ernsten, langen, durchdringenden Blicken. Einen nach dem anderen. Und dann, immer noch so furchtbar still, nahm er seine Jacke vom Sofa, legte sie sich über die Schulter und ging aus dem Zimmer.
Keiner von uns sagte ein Wort.
* * *
Es war kurz nach der Tagesschau, als es klingelte. Marek erhob sich aus dem Fernsehsessel, ging zur Tür und öffnete sie. Dort stand Dilbert. Ein Dilbert, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte: Er hatte sich die Haare auf knappe Schulterlänge gestutzt, trug eine graue Stoffhose, ein Sakko und sogar eine Krawatte, deren Farben allerdings zu Hemd und Jacke so gut passten wie Marmelade zu einem Fischbrötchen. In der Hand hielt er einen Blumenstrauß.
Dilbert räusperte sich. Dann sagte er tapfer: »Herr Hölters, ich möchte um die Hand Ihrer Tochter anhalten.«
Marek fiel die Kinnlade herunter. Ganz buchstäblich. Und dann, nach einer kurzen Schrecksekunde, lachte er auf. Er lachte so laut, so schallend, dass Dilbert schon dachte, der alte Herr sei durchgedreht und es wäre das Klügste, jetzt so schnell wie möglich Reißaus zu nehmen. Wer weiß, wozu solche alten Knacker fähig sind! Marek aber tat nichts, außer zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen aus den Augen schossen und er vor Atemnot zu keuchen anfing. Angelika und Petra kamen aus dem Wohnzimmer, um zu sehen, was los war. Und während ihre Mutter nur irritiert dreinschaute, begriff Petra sofort, was hier vorging. Sie strahlte über das ganze Gesicht, kiekste richtig auf, rannte auf den verdattert dastehenden Dilbert zu und knuffte ihn mit solcher Wucht mit der Faust auf die Brust, dass er den Blumenstrauß fallen ließ und zwei unbeholfene Schritte zurück ins Treppenhaus stolperte. Dann fiel Petra ihm um den Hals und küsste ihn. Und wieder. Und wieder.
Marek, dessen Lachen zu einem erschöpften Schniefen geworden war, legte seiner Frau den Arm um die Schulter und betrachtete seine Tochter, die er noch nie so glücklich gesehen hatte. So offen. Er wusste, dass es alles nicht so leicht sein würde, wie es in diesem Moment schien. Aber es fühlte sich gut an. Es sah aus, als dürfte man hoffen.
* * *
Als Dille uns von dem eigenwilligen Verlauf seines Heiratsantrag erzählte, mussten auch wir lachen. Und wir fanden es sehr vernünftig von Petra, dass sie ihn nicht angenommen hatte.
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