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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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in Ordnung: Wir aßen, tranken, hatten Sex, aßen, tranken, hatten Sex, aßen, tranken … Und dann sagte Arlette eines Tages: »Isch fühle misch benutzt von dir. Du nimmst nur und gibst rien zurück!«
    Ich sah sie an, dachte einen Moment nach und kam dann zu einer verblüffenden Erkenntnis: Sie hatte Recht! Man kann mir vieles vorwerfen, sehr vieles – aber nicht, dass ich mir meiner Fehler nicht bewusst bin!
    Seit vier Jahren lebte ich in einem emotionalen Vakuum. Das war für Außenstehende nicht unbedingt offensichtlich, denn ich konnte recht witzig sein, charmant, wenn es sein musste, ich amüsierte mich manchmal, mochte ein paar Dinge, verabscheute andere – aber nichts traf mich ins Herz, ins Mark, in die Eingeweide. Arlette? Ich mochte Arlette, sie war hübsch, lieb, gute Gesellschaft. Besser jedenfalls als die anderen Frauen, mit denen ich mich die Jahre zuvor getroffen hatte. Und ich hätte mich mit Arlette wohl bis ins hohe Greisenalter von Essen zu Essen gehangelt, hätte sie an diesem Tag nicht »Isch verlass disch!« gesagt.
    Ich horchte ob dieser Ankündigung ich in mich hinein. Und da war kein Aufheulen, kein Schmerz, keine Traurigkeit. Da war nichts.
    »Du wirst mir fehlen«, sagte ich also. Eine höfliche Lüge.

    Was mir wirklich fehlte, waren die Kirschkernspucker! Vor allem natürlich Susann. Seit dieser schrecklichen Nacht hatte ich nie wieder mit ihr gesprochen. Ich hatte sie in den ersten Tagen nach dem Vorfall drei-, viermal angerufen. Doch jedes Mal hatte sie, sobald sie meine Stimme hörte, aufgelegt. Und sie hatte ja weiß Gott auch ein Recht, das zu tun! Ich gab also auf. Sven hatte ich dagegen einen Brief geschrieben, mich darin ausgiebig entschuldigt. Doch er hatte nie darauf reagiert. Nur Petra und Dille hatte ich noch zweimal getroffen. Das erste Mal besuchte ich sie drei Wochen nach meinem Amoklauf. Nach einem kurzen Begrüßungsgeplänkel kamen wir damals schnell zum Thema: »Das war so was von Scheiße, Piet!«, urteilte Petra.
    Dilbert stimmte zu: »Ausgerechnet Sven zusammenzuschlagen! Ihr wart doch immer die besten Freunde! Und außerdem … Sven !«, er begann ausgiebig seufzend den Kopf zu schütteln: »Ich meine, das ist doch, als würde man ein kleines Kind verprügeln!«
    Ich tat, was ich mir eigentlich fest vorgenommen hatte, nicht zu tun: Ich rechtfertigte mich. »Er hat mit Susann geschlafen!«, nörgelte ich.
    »Ja, in einem Bett. Aber sonst nichts!«, erklärte Petra. »Sven hat’s uns letzte Woche erzählt: Er ist schwul!«
    Mir fiel die Kinnlade runter.
    Oh Gott!
    Diese Tatsache erhob mich vom Rang eines Arschlochs in den Olymp der Überschweine!
    »Was ist schwul ?«, fragte der kleine Jan, der dem Gespräch schon die ganze Zeit mit großem Interesse folgte.
    »Geh in die Küche und hol dir noch ein paar Smarties«, sagte Dille. Das war weit mehr, als er mir für den Rest des Abends zu sagen hatte.
    Das zweite Mal traf ich Dille und Petra fünf Monate später. Sie hatten mir eine Geburtsanzeige ihres neuen Nachwuchses geschickt: Es waren Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. Und damit es nicht wieder Streit um die Namensgebung gab, hatten sie sich darauf geeinigt, dass jeder für eines der Kinder zuständig war. Dille nannte das Mädchen Lucy (und bestritt energisch, dass das eine Hommage an die dralle kleine Blondine aus Dallas war!), während Petra ihren Sohn Florian nannte. Ich kaufte zwei Strampler, ließ auf den rosafarbenen Lucy sticken, auf den hellblauen Florian, und besuchte die stolzen Eltern. Petra hatte Ringe unter den Augen, Dille trug neuerdings einen Schnurrbart, was ziemlich dämlich aussah. Wir sprachen über die Kinder, Dilles Job, meinen Job und merkten irgendwann, dass wir uns ansonsten nichts zu sagen hatten.
    * * *
    Sven hielt die aufgeschlagene Hamburger Morgenpost hoch. »Piets Kommentar über Rot-Grün in Hessen ist nicht übel«, sagte er und wollte Susann die Zeitung über den Frühstückstisch reichen.
    »Niemand hat je bestritten, dass er ein kluger Kopf ist«, sagte sie, machte aber keinerlei Anstalten, sich die Zeitung zu nehmen, sondern biss stattdessen in ihr Marmeladenbrötchen.
    »Er hält diesen … wie heißt der noch mal … Joschka Fischer für eine, ich zitiere, echte Bereicherung der eingefahrenen, ja fast muffigen deutschen Politikszene «. Sven grinste: »Wenn das die Leser wüssten: Vor ein paar Jahren noch schmiss Piet auf Demos mit Pflastersteinen – und jetzt erklärt er den Leuten die

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