Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
halb eins. Hoppla.
»Ich w-weiss, was du machst! Ich m-mach dass nicht mehr mit! Mir reicht’s!«, pöbelte ich Susann ohne Umschweife an. Der Mann mit der roten Nase hob anerkennend den Daumen hoch.
»Piet?«, fragte Susann.
»Ich hab’ die Schnauze voll!«, schrie ich. »Ich will eine Entscheidung! J-jetzt!«
Susann kombinierte haarscharf, indem sie den Inhalt meiner Worte mit meinem nicht sehr stabilen Tonfall und den Hintergrundgeräuschen (Tony Marshall, Gläserklirren und ein rülpsender Rentner) addierte: »Du bist betrunken!«
»Ich w-will jetzt eine Entscheidung!«, motzte ich.
»Ruf morgen an, wenn du nüchtern bist«, zischte die empörte Susann. Und kurz bevor sie auflegte, hörte ich im Hintergrund ein Flüstern. Verdammt! Dieses Schwein von Sven war immer noch bei ihr!
* * *
»Ist es das, worauf ich mich einzustellen habe: flüchtigen Sex? Sonst nichts?«
Susann seufzte. Sie liebte Sven. Wie einen Bruder. Aber manchmal übertrieb er es mit seiner Rührseligkeit und seinem Selbstmitleid. Er konnte sich wirklich wortreich bedauern. Stundenlang!
»Mein Gott«, seufzte Susann, die langsam erschöpft war vom Zuhören und Trösten. »Du bist an ein Arschloch geraten. Big Deal ! Frag jede beliebige Frau auf der Straße, ob ihr das auch schon mal passiert ist. Und wenn sie keine Nonne ist, dann nickt sie!«
» Dir ist das noch nicht passiert!«, nölte Sven.
»Du erinnerst dich an den Furz ?«, grinste Susann. »Der war dicht genug dran.«
»Aber jetzt hast du Piet …«
Susann rollte mit den Augen. »Ich weiß nicht, ob ich Piet habe! Mit Piet zusammen zu sein ist wie eine Qualle zu würgen. Du kriegst den Kerl einfach nicht zu fassen.«
»Er liebt dich!«, sagte Sven bestimmt. »Er …«
»Hier geht’s jetzt aber nicht um Piet und mich, sondern um dich«, unterbrach ihn Susann.
»Es geht mir schon besser!«, sagte Sven, ließ es sich aber nicht nehmen, noch einmal demonstrativ zu schniefen.
Susann sah ihn ironisch lächelnd an.
»Ehrlich!« Jetzt grinste auch Sven. »Mir geht’s besser.«
»Willst du heute Nacht hier bleiben?«, fragte Susann, nachdem sie auf die Uhr gesehen hatte. Es war schon fast Mitternacht.
»Darf ich?«, fragte Sven.
»Klar«, antwortete Susann.
Eine Viertelstunde später lagen die beiden zusammen in Susanns Bett. Sie hatte Sven noch ein wenig den Kopf gestreichelt und dann auf die Stirn geküsst. Manchmal fühlte sie sich nicht wie seine Schwester, sondern eher wie seine Mutter.
Dann schliefen beide ein.
Für genau zehn Minuten. Dann klingelte plötzlich das Telefon.
* * *
So betrunken ich auch gewesen sein mag: die misstrauischen Blicke des Taxifahrers, der mich durch den Rückspiegel sehr genau beobachtete, entgingen mir nicht. Ich weiß nicht, ob er eher damit rechnete, dass ich mich auf seine schönen Lederpolster erbrach, oder mich vielmehr für jene Art von Mensch hielt, die plötzlich ein Messer zückt und ihm an die Kehle presst – aber ich spürte, wie froh er war, als er mich schwankende und keuchende Kreatur vor Susanns Haustür absetzen konnte. Mir fehlten sowohl der scharfe Blick als auch die feinmotorischen Fähigkeiten, um ihm das genau abgezählte Fahrgeld zu geben. Also drückte ich ihm kurz entschlossen mein Portemonnaie in die Hand und verließ mich darauf, dass er schon nicht zu viel herausnehmen würde. Reichtümer befanden sich, nachdem ich die schockierend hohe Zeche der Holsten-Klause beglichen hatte, ohnehin nicht mehr in meiner Geldbörse.
Ich wankte die zwei Stockwerke zu Susanns Wohnung hinauf und drückte auf den Klingelknopf.
Nichts.
Ich drückte noch einmal.
»Piet?«, fragte Susann, die mich offenkundig durch den Türspion betrachtete.
»Mach auf«, forderte ich. »Ich w-weiss, dass du Sven da drin hast!«
»Geh nach Hause«, bat Susann. »Schlaf dich aus.«
»M-mach auf!«, sagte ich. Nicht übermäßig laut, aber sehr fordernd.
Susann öffnete die Tür einen kleinen Spalt, wohl um mir in die Augen zu sehen, während sie versuchte, mich zur Vernunft zu bringen. Und ich nutzte diese vertrauensvolle Geste, um die Tür mit einem Ruck aufzustoßen.
Ich werde meinen zweifelsohne beeindruckenden Promillewert nicht als Entschuldigung für das benutzen, was nun folgte. Ich glaube nicht an Alkoholeinwirkung als Strafmilderungsgrund. Ich finde, wer säuft, muss auch die Konsequenzen für den Mist tragen, den er in diesem Zustand anrichtet. Und ›Mist‹ ist ein sehr kleines Wort für das, was in dieser Nacht
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