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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Geschlackse wie eine falsch konstruierte Aufziehpuppe wirkte.
    Neben ihr, ihre Hand haltend, stand ein Junge. Er wirkte furchtbar klein, weil er seinen Kopf und seine Schultern so weit nach unten senkte, als wolle er in die Erde kriechen. Meine Mutter, die bemerkte, wie ich dieses trostlose Trio anstarrte, beugte sich zu mir herunter: »Mit diesem Jungen solltest du nicht spielen«, sagte sie. Ich verstand nicht, wieso. Schummelte der immer, oder was?
    Wir gingen zur Turnhalle, wo die Begrüßungszeremonie abgehalten werden sollte. Mama hielt meine Hand, Papa hielt Svens. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass Sven die Zuneigung meines Vaters suchte und auch erhielt. Und das war auch ganz okay so: Mein Papa war nett zu Sven, aber mich liebte er. So sah ich das mittlerweile.
    Gerade als wir durch die Tür treten wollten, wurde ich zur Seite geschubst. Ein Junge preschte an mir vorbei, stuppste mir dabei in die Rippen und streifte den Kopf meiner Mutter mit seiner Schultüte, die er mit hochgestreckten Armen wie eine Keule schwenkte. »Ich will vorne sitzen! Vorne! Gaaaanz vorne!«, grölte er dabei und schlug sich eine Schneise durch die Leute. Hinter ihm eilte eine Frau her, die immer abwechselnd rief: »Dilbert! Bleib stehen, Dilbert!«, und flüsterte: »Entschuldigung! Entschuldigung! Entschuldigung!«. Meine Mutter grinste. Sie sagte nicht, dass ich mit diesem Jungen nicht spielen dürfte. In meinem sechsjährigen Gehirn keimte eine interessante Frage: Was ist bedrohlicher an einem traurigen, stillen Kind als an einem offenkundigen Rüpel und Schreihals?

    »Du kommst mit!«, schrie Karola. »Es ist Bernhards Einschulung, verdammt noch mal!«
    Hubert saß in Unterwäsche auf dem Sofa. In der Hand hielt er eine Flasche Bier. »Was soll ich da?«, knurrte er. »Ich hab’ keine Lust. Schule … Scheiße!« Er beugte sich zu Bernhard vor, der bereits fertig angezogen, mit neuer Cordhose und sauberem Pulli, dastand. In der Hand hielt er seine kleine Schultüte. Hubert hatte sie selbst gefüllt: zwei Schokoladentafeln, Brausepulver, sechs Filzstifte in verschiedenen Farben, ein kleines Pixi-Buch. »Hast du etwa Lust auf Schule?«, grinste er seinen Sohn an, zwinkernd, kumpelhaft.
    Bernhard sah auf den Boden. Dann, leise, murmelte er: »Ja. Da lerne ich viele wichtige Sachen.«
    Hubert ließ sich ins Sofa zurückfallen und nahm noch einen Schluck Bier. Er seufzte. Tatsächlich war er stolz, wie Väter das eben sind. Sein Sohn tat heute seinen nächsten großen Schritt. Aber Hubert schämte sich. Farmsen-Berne, das war wie ein kleines Dorf in der Stadt. Die Leute kannten ihn. Sie hatten ihn oft genug gesehen: besoffen, grölend, labernd. Mit seinen Freunden am Bahnhof. Hubert wusste, dass die anderen Eltern ihn verachteten. Er wusste, das man ihn als eine Störung im schönen Bild betrachten würde. Die nettesten von ihnen würden ihn bloß mitleidig ansehen. Aber das war das Schlimmste: dieses scheißarrogante Mitleid.
    »Zieh dich jetzt an«, schimpfte Karola und schmiss Hubert einen Pullover an den Kopf. »Und putz dir die Zähne!« Dann beugte sie sich zu Bernhard hinunter, drückte ihn fest und fragte: »Bist du aufgeregt?«
    Bernhard nickte.
    »Musste nicht sein«, lächelte Karola. »Wirst sehen, in der Schule findest du ganz viele Freunde.«
    Bernhard lächelte ein wenig bemüht. Hubert, der sich gerade in seine Hose zwängte, begann spöttisch zu singen: »Ein Freund, ein guhuuuter Freuuund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt!« Dann lachte er.
    Bernhard sah seinen Vater an. Dann sagte er, leise: »Wenn man Freunde hat, ist man nie mehr allein.«
    Karola strich ihm über den Kopf. Hubert schaute seinen Sohn einen Moment erschrocken an, dann nahm er schnell einen letzten Schluck Bier aus der Flasche und nickte geistesabwesend. »Ja, klar!«
    Als Hubert sich seine Schuhe anzog und Bernhard bereits die Wohnungstür öffnete und ins Treppenhaus schlüpfte, schlich Karola noch schnell in die Küche. Sie öffnete den Kühlschrank, griff sich eine halb volle Wodkaflasche und nahm einen großen, hastigen Schluck. »Lass mich das durchstehen, lieber Gott!«, sagte sie, als sei der Angesprochene in der Flasche zu finden. »Lass mich das heute durchstehen.«
    * * *
    Sven und ich kamen nicht in dieselbe Klasse. Ich kam in die 1a, er in die 1c. Ich kannte keinen meiner Mitschüler. Zwei der Mädchen hatte ich zwar schon mal gesehen, beim Bäcker oder auf einem Spielplatz – aber, na ja, es waren eben Mädchen.

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