Die Depressionsfalle
Wichtig ist die Art und Weise der sozialen Unterstützung. Dass ältere bis alte Frauen, Witwen, alleinerziehende oder unter der Armutsgrenze lebende Frauen mit sozialer Unterstützung nicht gerade verwöhnt werden, ist bekannt. Ãltere und alte Frauen werden öffentlich nicht wahrgenommen. Der Schweizer Film
Giulias Verschwinden
(2009) mit Corinna Harfouch und Bruno Ganz zeigt eindrucksvoll das traurige, leicht verstörte Staunen einer sensiblen, älteren Frau darüber, wie offensichtlich sie überhört und übersehen wird.
Wichtige Faktoren für die Krankheitsbewältigung
An erster Stelle der wichtigen Faktoren für die Krankheitsbewältigung nennen hier die Medizinsoziologen die Vertrauensbildung in der Zweierbeziehung. Eine vertrauensvolle Zweierbeziehung fehlt vielen Alleinerzieherinnen und â entsprechend den aktuellen demographischen Daten, wonach Frauen eine deutlich höhere Lebenserwartung als Männer haben â auch den meisten alten Frauen. Weitere wichtige Faktoren der Bewältigung von Krankheit:
⢠Soziale Unterstützung aufgrund hierarchischer Position: Je höher in der gesellschaftlichen Hierarchie jemand angesiedelt ist, umso eher kommt dieser Person soziale Unterstützung zu. Berufstätige Frauen sind eher nicht in den Chefetagen der Firmen zu finden. Das System Krankenhaus ist ein gutes Beispiel dafür: Je niedriger in der Hierarchie eine bestimmte Position eingestuft ist, was sozialen Status und Gehalt betrifft, umso eher ist diese Position von einer Frau besetzt. Die Basislinie der Personalpyramide bilden die Putzfrauen, dann folgt das Pflegepersonal, auch überwiegend weiblich, unter den Ãrztinnen in Ausbildung ist der Frauenanteil noch 50 Prozent bis darüber. Aber je höher hinauf man blickt, umso weniger Frauen sind zu finden. Die Spitze der Pyramide schlieÃlich ist zumeist männlich (Primararzt oder Klinikchef).
⢠Der Umgang mit der Krankheit durch das medizinische System: Immer noch führt die paternalistische Einstellung im medizinischen System dazu, dass Frauen eher bevormundet werden und ihnen Entscheidungen nicht zugetraut werden. Ãltere Frauen mit einem patriarchalen Migrationshintergrund sind oft nicht ausreichend sprachkundig. Zeitmangel und Mangel an Dolmetscherinnen im Krankenhaus führen dazu, dass die Bedeutung der Erkrankung, der Befunde, etc. der betroffenen Frau keineswegs mit ausreichender Klarheit vermittelt wird. Auch wenn es vielerorts Bemühungen gibt, die Situation für diese Frauen zu verbessern, herrschen doch oft ungläubige Verwirrung und das Gefühl, gedemütigt zu sein, vor.
⢠Soziale Kongruität (also gleichbleibende Situationen). Damit ist auch die finanzielle Situation gemeint: Witwenpensionen sind meist niedriger als die in der Ehe zur Verfügung stehenden Geldmittel.
Psychische, physische und sexuelle Gewalt gegen Frauen als Ursachen von Depressivität â ein lange vernachlässigtes Thema
Die kaum zu glaubende Leidensgeschichte einer Patientin soll diesen Zusammenhang verständlich machen. Die Psychosomatische Frauenambulanz der Universitäts-Frauenklinik in Wien ist eine Liaisoneinrichtung â d. h. Anwesenheit einer Psychiaterin vor Ort â der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie in der Frauenklinik. Auch die studentische Lehre war in diese Spezialambulanz einbezogen. Studenten, welche ein bestimmtes Seminar belegt hatten, konnten als âteilnehmende Beobachterâ in der Ambulanz anwesend sein. Für diese physische Anwesenheit gab es einen Verhaltenskodex für die Studenten. Sie wurden im Seminar darauf vorbereitet und mussten danach über eine Patientin aus dem Gedächtnis (Mitschreiben war unerwünscht) beim nächsten Seminar der Gruppe der Studierenden berichten. Es traf sich, dass ein männlicher Student bei dem diagnostischen Erstinterview mit einer älteren Patientin mit der Zuweisungsdiagnose âDepressionâ anwesend war. Das diagnostische Erstgespräch mit der Patientin ergab zwar einige Symptome der Depression wie Einschlafstörungen, Lustlosigkeit, mangelnder Appetit (ohne Gewichtsverlust). Die Patientin konnte jedoch morgens ohne Schwierigkeiten aufstehen und ihrer üblichen Beschäftigung im Haushalt nachgehen. Auffallend war in Mimik, Gestik und Wortwahl ein unglaublicher Leidensdruck, der nicht zu den â eher spärlichen â Depressionszeichen
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