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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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    Antidepressiva waren ihr schon verschrieben worden, auch Schmerzmittel, sie brachten aber keine Besserung. Auf die Frage, was sie wirklich bedrücke, begann sie zögernd und leise zu erzählen, dass sie seit Jahren Opfer körperlicher und psychischer Gewalt, zugefügt von ihrem Ehemann, einem sozial angesehenen Akademiker,sei. Die Blutergüsse, die schlecht zusammengewachsenen – da nicht chirurgisch versorgten – Frakturen und die Verbrennungen wurden ihr an Körperstellen zugefügt, die von der Kleidung verdeckt waren. Kontakt mit der Außenwelt durfte sie nur in Begleitung ihres Mannes pflegen; ihren Beruf durfte sie nicht ausüben. Sie hatte bis dahin niemandem von ihrem Martyrium berichtet; aber jetzt wurden die Kinder langsam erwachsen. So wagte sie es, Hilfe zu suchen, und sie fand diese Spezialambulanz im Internet. Angst, Scham und Schuldgefühle sowie die Vorstellung von Wertlosigkeit beherrschten ihr Seelenleben. Im Einverständnis mit der Patientin wurde die Sozialarbeiterin beigezogen und gemeinsam ein Paket zum Schutz der Patientin entwickelt, das auch Zukunftsperspektiven aufwies.
    Der teilnehmende Student wurde während dieser Anamnese immer blasser, er begann zu zittern, sodass er unter einem Vorwand aus dem Raum geschickt werden musste.
    Sein Bericht an die Gruppe der anderen Studenten, einige Tage später, war geprägt von Fassungslosigkeit, Entsetzen und ohnmächtiger Wut. Sein Weltbild war erschüttert: dass so etwas überhaupt und noch dazu in einer Mittelschichtfamilie des ‚Bildungsbürgertums‘ vorkommen könne. Häusliche Gewalt wird zumeist mit problematischen sozialen Verhältnissen, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus assoziiert. Die Teilnehmer des Seminars waren allesamt betroffen von dieser unglaublichen Tabuisierung von häuslicher Gewalt im Mittelstand.
    Es gibt wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse zu den ursächlichen Zusammenhängen von Gewalterfahrungen und Depression. So ist bekannt, dass das Auftreten (die Prävalenz) von Depressionen bei Frauen mit erlebter körperlicher Gewalt 45 bis 63 Prozent beträgt, bei Frauen der Vergleichspopulation ohne Gewalt hingegen 9,3 Prozent. Eine Forschungsgruppe um Campbell hat 1996 die Hypothese aufgestellt, dass die geschlechtsgebundenen Unterschiede hinsichtlich des weltweiten Auftretens (der globalen Inzidenz) von Major Depression – nämlich Frauen zu Männer im Verhältnis 3:1 – mit der Tatsache im Zusammenhang stehen, dass Frauen in intimen Partnerschaften sehr viel eher als Männer Opfervon körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt werden, wie es in der oben beschriebenen Leidensgeschichte der Fall war.
    Margo Thienemann und Mitarbeiter fanden heraus, dass 61 Prozent der Frauen, die vom medizinischen System als depressiv diagnostiziert wurden, eine lebenslange Prävalenz von häuslicher Gewalt hatten. 11 Eine Untersuchung aus Irland zeigt, dass eine Schwangerschaft die Frauen meist nicht vor häuslicher Gewalt schützt – im Gegenteil. Der internationalen Gemeinschaft ist dieses Thema nicht fremd, daher erließen die Vereinten Nationen die ‚Pekinger Erklärung‘.
Die Pekinger Erklärung der UNO
    Der Begriff ‚Gewalt gegen Frauen‘ bezeichnet jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben. Infolgedessen umfasst Gewalt gegen Frauen unter anderem folgende Formen:
    1.Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in der Familie, namentlich auch Misshandlung von Frauen, sexueller Missbrauch von Mädchen im Haushalt, Gewalt im Zusammenhang mit der Mitgift, Vergewaltigung in der Ehe, Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane und andere traditionelle, für die Frau schädliche Praktiken, Gewalt außerhalb der Ehe und Gewalt im Zusammenhang mit Ausbeutung.
    2.Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in der Gemeinschaft, so auch Vergewaltigung, Missbrauch, sexuelle Belästigung und Einschüchterung am Arbeitsplatz, an Bildungseinrichtungen und anderswo, Frauenhandel und Zwangsprostitution.
    3.Vom Staat ausgeübte oder geduldete körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, wo immer sie auftritt.
Definition

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