Die Depressionsfalle
sein, wenn die Frau an der sozialen Position des Partners teil hatte.
Für die wissenschaftlich begründete Annahme, dass einer Depressionserkrankung ein Verlusterlebnis zugrunde liegt, dessen Bedeutung als solches dem Individuum nicht unbedingt bewusst ist und/oder vom sozialen Umfeld nicht anerkannt wird, gibt es im weiblichen Lebenszyklus zahlreiche Möglichkeiten, die Bedeutung von Verlusterlebnissen zu verleugnen, also dessen Wirklichkeit an sich oder die begleitenden unangenehmen Affekte wie Scham, Wut und Trauer nicht als solche wahrzunehmen. Damit gibt es auch keinen Platz für Trauer, wohl aber für Depressivität. In welchem Bereich des Depressionskontinuums das Leiden dann anzusiedeln ist, ob es sich um eine leichte, mittelschwere oder schwere Depression handelt, ist neben konstitutionellen Faktoren zu einem groÃen Teil von Umweltfaktoren wie sozialen Bedingungen abhängig.
Geschlechtsdifferenzielle soziale Bedingungen
âDoch die Verhältnisse, sie sind nicht so.â
Bert Brecht: Dreigroschenoper
Am 20. 11. 2012 lautete die Titelgeschichte der Tageszeitung
Die Presse
: âJede zweite Frühpensionistin psychisch krankâ. Fast die Hälfte der Frauen, die 2011 eine Invaliditätspension erhielten, litten unter âpsychischen Problemenâ â dabei handelt es sich überwiegend um Depressionen (48,85 Prozent). Der Anteil der Männer, die wegen psychischer Probleme eine Invaliditätspension erhielten, betrug 28,63 Prozent.
Interessant an diesem Artikel ist der schlicht monokausale âBegründungsversuchâ eines Sozialpsychiaters für den hohen Frauenanteil: Es müsse wohl die Doppelbelastung sein. Dass damit einerseits wieder ein Geschlechterrollenstereotyp bedient wird, ist ärgerlich; traurig ist die Missachtung aller sozialmedizinischer Forschungsergebnisse, welche zeigen, dass dieser Unterschied in Hinblick auf die Geschlechter wesentlich differenzierter gesehen werden muss.
Die für Frauen und Männer unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen spielen für die Wahrscheinlichkeit des âAbgleitensâ in eine depressive Verstimmung und für das Gefühl, hilflos in dieser Verstimmung festgehalten zu sein, und somit für die Krankheitsbewältigung eine wichtige Rolle.
Neben der Häufung einzelner Lebensbelastungen konnte an verschiedenen eingreifenden Lebensveränderungen demonstriert werden, dass mit ihnen ein höheres Krankheitsrisiko verbunden ist. Diese kritischen Lebensereignisse oder âlife-eventsâ erfordern körperliche, psychische und soziale Anpassungsleistungen, die Energie abverlangen. Da wir alle nur ein bestimmtes Quantum psychischer Energie zur Verfügung haben, bedeuten diese Anpassungsleistungen eine ziemliche psychische und körperliche Belastung. Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist konnte zeigen, dass insbesondere Lebensroutine durchbrechende Ereignisse erhöhte Anpassungsleistungen erfordern.Das betrifft vor allem unerwünschte, unbeeinflussbare, unerwartete und mit negativen Folgen behaftete Ereignisse.
Eine Häufung derartiger Ereignisse überfordert die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten. Als Folge können auch bei vorher gesunden Personen psychische Probleme, vorwiegend depressive Verstimmungszustände und/oder psychophysiologische Reaktionen und Leidenszustände auftreten, d. h. körperliche Beschwerden, für die keine Veränderungen an den Organen des Körpers gefunden werden können und die meist als âpsychosomatischâ bezeichnet werden. 10 Für diese Anpassungsleistungen, also die Bewältigung lebensbelastender Ereignisse oder Stressoren, sind modifizierende Faktoren erforscht:
1.Persönlichkeitsfaktoren: Welche Bewältigungsstrategien (Coping, auch als Vorstellungen subjektiver Kompetenz bezeichnet) traut sich eine Frau persönlich zu? Wenn in einer länger dauernden Beziehung oder einer Ehe alle die Familie betreffenden finanziellen und organisatorischen Fragen, wie Steuererklärungen, etc. vom Partner erledigt wurden, eine Abwertung der intellektuellen Fähigkeiten der Frau an der Tagesordnung war, dann traut sich diese so als âunfähigâ etikettierte Frau schlieÃlich diese Erledigungen selber nicht mehr zu. Nach einer Trennung oder Scheidung ist diese Vorstellung von hilfloser Unfähigkeit ein weiterer Baustein für eine depressive Verstimmung.
2.Soziale und Umweltfaktoren:
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