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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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wie Kramer und Ehrenberg ihre Gedanken ausbreiteten, war es noch möglich, die SSRI als Umsetzung der Fantasie von „Soma“ zu sehen. Spätere Erkenntnisse über die Auswirkungen des Gebrauchs führten die Vorstellungen von „Prozac as a way of life“ ad absurdum, wie wir später noch zeigen werden.
Psychotherapeutische Medikamente:
Persönlichkeitswandel und Selbstverwirklichung
    Die ersten beiden Patienten, die Kramer in
Listening to Prozac
vorstellt, stellten sich als Personen dar, die unter dem Einfluss der Substanz eine fundamentale Veränderung ihrer Persönlichkeit zu verspüren vermeinten. Die eine der beiden Frauen gab an, unter dem Einfluss der Substanz ihr „wahres Selbst“ gefunden zu haben, die zweite meinte, dass sie überhaupt zu einer neuen Identität gefunden habe, die wesenhaft mit dem Substanzeffekt zusammenhänge, und nannte sich, um diese Empfindung zu unterstreichen, (halb scherzhaft) „Frau Prozac“. Mit dieser Wirkungszuschreibung, aus der Kramer weitreichende Schlussfolgerungen ableitete, entstand das Image einer magischen Substanz, die als Katalysator einer Transformation der Persönlichkeit fungiert.
    Nun ist der Mythos, dass psychoaktive Stoffe (Drogen) einen Persönlichkeitswandel einleiten können, nicht gerade neu und auch keineswegs an die modernen Antidepressiva gebunden. Er taucht im Kontext der Einnahme von verschiedensten Drogen auf und entspricht einem uralten Wunsch. Bei den modernen Psychopharmaka wird dieser Wirkung eine besondere Eigenart und Funktion zugeordnet, es wird von „psychotherapeutischen Arzneimitteln“ gesprochen.
    Der große Psychopharmakologe Leo Hollister schloss bereits 1975 seinen Aufsatz über die Beeinflussung emotionaler Störungen durch psychoaktive Arzneimittel, der in der Zeitschrift der Amerikanischen medizinischen Gesellschaft (
JAMA
) veröffentlicht wurde, mit folgender Reflexion über die „ideale psychotherapeutische Droge“ ab:
    Diese Droge würde
    1.die pathogenetischen (krankheitsauslösenden und die Krankheit aufrecht erhaltenden) Mechanismen des Symptoms oder der Störung heilen oder abschwächen,
    2.schnell wirksam werden,
    3.bei den meisten oder bei allen Patienten, für die ihr Gebrauch indiziert ist, gute Effekte bewirken,
    4.nicht zur Gewöhnung führen und kein Abhängigkeitspotential aufweisen,
    5.keine Toleranz bewirken,
    6.bei therapeutischer Dosierung minimale Giftigkeit aufweisen,
    7.nur in geringem Ausmaß unerwünschte und sekundäre Nebeneffekte aufweisen,
    8.bei einer Überdosis nicht tödlich wirken,
    9.sowohl bei stationären wie auch bei ambulanten Patienten einsetzbar sein und
    10.weder das Denken noch die Wahrnehmung, noch die Motorik ungünstig beeinflussen.
    Hollister war sich bewusst, dass es zu der Zeit, als er diese Vorstellung veröffentlichte, keine Substanz gab, die allen diesen Merkmalen entsprach, vertrat aber, ähnlich wie Aldous Huxley, den Standpunkt, dass überraschend viele der verfügbaren Substanzen eine Mehrzahl dieser Wunschvorstellungen erfüllen. Dass noch viel auf verschiedenen Wegen geforscht werden müsse, um die ideale Droge zu entwickeln, erschien klar genug. Bereits damals war es Hollister auch klar, dass man „pharmakologischen Reduktionismus“ vermeiden solle: „Es war zu unserem Segen und auch zu unserem Unglück, dass wir wirksame Arzneimittel für emotionale Störungen hatten, bevor wir noch über eine Wissenschaft über Verhaltenspathologie verfügten. Unsere Hoffnung darauf, dass wir bestmögliche psychotherapeutische Drogen entwickeln, ist daher gebunden daran, dass wir die Ursachen von Gemütsstörungen besser verstehen lernen.“ 62
„Psychotherapeutische Drogen“?
    Leo Hollister und nach ihm viele andere Autoren gebrauchen den Ausdruck „psychotherapeutische Drogen“. Was kann man darunter verstehen? Soll in einer endgültigen biologisch-pharmakologischen Lösung des Problems der Beeinflussung des Seelenlebens das Arzneimittel die Psychotherapie ersetzen, sie unnötig machen? Am ehesten ist wohl dann die Wirkung einer Substanz als „psychotherapeutisch“ zu verstehen, wenn ihre Effekte psychotherapeutischen Zielvorstellungen zu entsprechen scheinen.
    Nun sind derartige Zielvorstellungen recht unscharf. Sigmund Freud hat einst eine bis heute gültige Formel gefunden: Der Patient solle einen

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