Die Depressionsfalle
antidepressive Wirksamkeit zu finden. Tatsächlich führten die untersuchten SSRI zu einem Anstieg der Neurogeneserate. Bei dieser Untersuchung bediente man sich früherer Erkenntnisse über den Zusammenhang der Wirkung der SSRI mit der Wirkung von Stresshormonen (Glucocorticoiden, Cortison). Es wurde untersucht, ob der SSRI Sertralin an den Glucocorticoid-Rezeptoren von Gehirnzellen zur Wirkung kommt. Die Wissenschaftler züchteten menschliche Vorläuferzellen des Hippokampus im Labor und fügten Sertralin hinzu. Zehn Tage später wiesen die Kulturen einen um 25 Prozent höher als erwarteten Zuwachs an neuen Neuronen auf. Als die Forscher vor dem Sertralin ein Medikament hinzufügten, das die Glucocorticoid-Rezeptoren blockierte, war die Anzahl der neuen Neuronen ungefähr so hoch wie es bei einem normalen Wachstum zu erwarten war. Daraus schlieÃen die Wissenschaftler, dass das Antidepressivum tatsächlich seine Wirkung über diesen Rezeptor entfaltet. Andererseits konnte jedoch gezeigt werden, dass für eine effektive anxiolytische Therapie mit dem SSRI Fluoxetin (Prozac/Fluctine) adulte Neurogenese notwendig ist. Zusammenhänge zwischen Depression und Neurogenese sind zu beobachten, sie sind in ihrer Bedeutung aber noch weitgehend unklar und werden widersprüchlich diskutiert.
Obwohl die Rolle junger Neuronen für die normale Gehirnfunktion noch keineswegs geklärt ist, suchen pharmazeutische Firmen bereits nach Substanzen, welche sie ankurbeln sollen. Sie versprechen sich davon neue Medikamente für die Behandlung von Depressionen und Angstzuständen, Alzheimer und Parkinson, Schlaganfällen und eventuell auch von Essstörungen. Man hofft auf die Entwicklung von völlig neuartigen Antidepressiva, deren Wirkung auf einem neuartigen Mechanismus auÃerhalb des serotonergen Systems und aller anderen bekannten Neurotransmitter beruhen soll. Diese Substanzen sollten dementsprechend frei von unerwünschten Nebenwirkungen der SSRI sein.
Man sieht, dass noch viele wissenschaftliche Bemühungen eingesetzt werden müssen, um zu einer tragfähigen Theorie der Depression und zu möglichst sicheren Medikamenten zu gelangen. Immerhin hat die Forschung erkannt, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Sie bewegt sich in mehrere Richtungen und entspricht damit besser der Komplexität des menschlichen Gehirns und seiner Funktionsweise.
Listening to Prozac â
Kosmetische Psychiatrie und präventive Therapie
In der ersten Phase der Anwendung der SSRI wurden Ãberlegungen angestellt, ob die Substanzen nicht auch Personen zur Verfügung gestellt werden sollten, die zwar nicht eindeutig in das âDepressions-Kontinuumâ passen, die sich aber nichtsdestoweniger von der Wirkung der Substanzen eine diffuse Verbesserung ihres Lebens versprechen. Diese Personen fühlten sich nicht wirklich schlecht, aber sie wollten sich âbesser als gutâ fühlen.
Der New Yorker Psychiater Peter Kramer hat in seinem Bestseller
Listening to Prozac
(1993) dieses Problem anhand eines Falles aufgerollt. In seiner Argumentation hat er darauf hingewiesen, dass die Gefahr bestehe, dass sich zwar die Psychiatrie in eine âkosmetischeâ Richtung bewege, nichtsdestotrotz aber angeraten, diesen Wünschen zu entsprechen. Er untermauerte diesen Standpunkt mit einer therapeutischen Ãberlegung: Obwohl es nicht Aufgabe der Psychiatrie sein könne, bei gesunden Personen chemisches Glück zu verschreiben, sei es möglich, dass diese Personen, die sich wohler fühlen wollen, sich innerhalb eines Kontinuums zwischen Gesundheit und Krankheit an einer kritischen Stelle befinden. Der Effekt, den die Substanz vermittelt, berichtet über den Zustand des Organismus. Eventuell kann daher die Verordnung von Antidepressiva das Ausbrechen einer manifesten Depression verhindern. Derartige Ãberlegungen bereiteten dem neuen Konzept der präventiven medikamentösen Behandlung den Weg. Befürworter der medikamentösen Behandlung der Depression vertreten den Standpunkt, dass auch kurzfristige depressive Verstimmungen präventiv über längere Zeit mit antidepressiven Arzneimitteln behandelt werden sollten.
Dieser Rat erscheint auf den ersten Blick plausibel. Warum sollte man nicht die Möglichkeit nutzen, Schlimmeres zu verhindern. Allerdings: Auf die psychiatrische Praxis und damit auf die Patienten wirkt sich die neue Aufgabe âpräventive
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