Die Depressionsfalle
Zuwachs an Arbeits-, Liebes- und Lustfähigkeit erfahren. Freud legte dabei Wert darauf, dass diese Kriterien immer in Bezug auf die individuellen Entwicklungsfähigkeiten und auf die Bedürfnisse des einzelnen Erkrankten definiert werden müssen. Freud dazu: âWir haben es entschieden abgelehnt, den Patienten, der sich Hilfe suchend in unsere Hand begibt, zu unserem Leibgut zu machen, sein Schicksal für ihn zu formen, ihm unsere Ideale aufzudrängen und ihn im Hochmut des Schöpfers zu unserem Ebenbild, an dem wir Wohlgefallen haben sollen, zu gestalten. Ich halte an dieser Ablehnung auch heute noch fest. Wir können es nicht vermeiden, auch Patienten anzunehmen, die so haltlos und existenzunfähig sind, dass man bei ihnen die ärztliche Beeinflussung mit der erzieherischen vereinigen muss [â¦] aber dies soll jedes Mal mit groÃer Schonung geschehen, und der Kranke soll nicht zur Ãhnlichkeit mit uns, sondern zur Befreiung und Vollendung seines eigenen Wesens erzogen werden [â¦].â 63
Freud hat damit ein Ziel und das Mittel zu seiner Erreichung vorgegeben, das zu den Vorstellungen einer ânon-direktivenâ Psychotherapie führte. Andere, vor allem verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapeuten sehen das anders. Sie gehen sehr wohl davon aus, dass sie besser wissen, was gut für den Patienten und für seine Umwelt ist. Kognitive Methoden, vor allem aber âpsychoedukativeâ Methoden gehen, wie schon der Name verrät, in eine andere, stärker direktive Richtung.
Der gemeinsame Nenner aller therapeutischen Zielvorstellungen ist aber sicherlich, dass sich eine Veränderung in eine erwünschte Richtung ergeben soll, ein Persönlichkeitswandel eintreten soll, der entweder âinnengerichtetâ auf Einsicht und/oder Verarbeitung aufbaut oder durch ein äuÃeres Mittel eingeleitet wird: durch eine direkte Vorgabe innerhalb des zwischenmenschlichen Kontakts, durch eine intensive Erfahrung oder durch eine physische Manipulation, einen Schock oder eine Droge.
Drogeneffekt und rascher Persönlichkeitswandel
Dass eine Drogenerfahrung einschneidend zu einem vorübergehenden oder auch dauerhaften Persönlichkeitswandel bzw. zu einer einschneidenden Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Person führen kann, ist ein Motiv, das in vielen Bereichen unserer Kultur in Erscheinung tritt: in der Religion, in wissenschaftlichen Experimenten, in der Volksheilkunde und in abergläubischen Systemen über Liebes- und Zaubertränke, in der Psychiatrie und Psychotherapie, in der Literatur und in populären Medien.
Religionsgeschichtlich kennen wir diese Vorstellungen aus dem Hexenwesen und der Interpretation, die dieses Phänomen gefunden hat. Ganz normale Frauen verwandelten sich in dieser Folklore unter dem Einfluss der âHexensalbenâ, das heiÃt unter dem Einfluss von Drogen, die aus Nachtschattengewächsen (Tollkirsche, Bilsenkraut, Engelstrompete) gewonnen werden, zu Teufelsanbeterinnen, die ihren exzessiven Gelüsten nachgingen, Verführerinnen wurden, ihre Nächsten verhexten, etc. Goethes Faust möchte ein derartiges Elixier finden. In der Hexenküche wird ihm ein Gebräu verabreicht, das einen Persönlichkeitswandel bewirken soll: Er âwird Helena in jedem Weibe sehenâ und er beteiligt sich an der Reise zum Blocksberg, das heiÃt, er partizipiert am âTripâ der Hexen.
In der Literatur und im Film ist der drogeninduzierte Persönlichkeitswandel ein Sujet innerhalb des fantastischen Genres und des Horrorgenres. Die kulturelle Ikone geht zurück auf die Romantik, auf R. L. Stevensons
Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde
, der bis in unsere Tage immer wieder filmische Neugestaltung erfährt.Naturgemäà reflektiert jedoch die populäre Kultur auch Entwicklungen in Wissenschaft und Medizin, und so treten zu dem Grundmuster des Wissenschaftlers, der bewusst oder unbewusst derartige Drogen erfindet, selbst konsumiert und weitergibt, stets neue Varianten hinzu. In dem japanischen Horrorfilm
Organ
geht es um eine Droge, unter deren Einfluss Menschen autokannibalistische Akte in Szene setzen, sich verstümmeln und ihre Körperteile als Mahlzeit zubereiten.
Tonika
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, jener Periode, in der naturwissenschaftliches Denken die Herrschaft antrat, etablierte sich eine Vorstellung, die im aktuellen Diskurs heute positiv als
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