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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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beschrieben. Auf diese Weise wird etwa aus dem „Entzugssyndrom“ ein „Absetzsyndrom“; auch wird die Beobachtung von Absetzproblemen dadurch verschleiert, dass von vornherein die Behandlung für einen langen Zeitraum vorgegeben wird.

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Abhängigkeit und Sucht
    Wir haben gesehen, dass einer der Hauptgründe dafür, dass in der Depressionsbehandlung früher geläufige Arzneimittel heute nicht mehr eingesetzt bzw. nur restriktiv verschrieben werden, darin zu finden ist, dass ihnen ein hohes Abhängigkeitspotential zugeschrieben wird. Alle Stoffe, die wir im geschichtlichen Rückblick vorgestellt haben, fielen der Angst vor ihrem „Suchtpotential“ zum Opfer: das Opium, das Kokain, die Barbiturate, das Meprobamat, die Benzodiazepine.
    Nachdem die trizyklischen Antidepressiva einige Zeit lang eingesetzt worden waren, wurde auch ihnen die Fähigkeit zugeschrieben, eine Abhängigkeit zu produzieren. Interessanterweise ist das Wissen über dieses Phänomen rasch in den Hintergrund gedrängt worden.
    Von den modernen Antidepressiva, den SSRI und den SNRI, wird behauptet, dass sie keine Sucht erzeugen. Dieser Standpunkt wird von höchst offiziellen Stellen vertreten. So meinte das britische Komitee für Arzneimittelsicherheit 2004, nachdem die Lage überprüft worden war, dass keine Evidenz dafür bestünde, dass die SSRI und mit ihnen verwandte Arzneimittel ein signifikantes Suchtpotential aufweisen oder zu einem Abhängigkeitssyndrom führen, das den international gültigen Kriterien entsprechen würde. Die Pharmaindustrie hatte hohes Interesse an der Behauptung, dass die Substanzen nicht suchterzeugend wären. In den USA wurde auf der Rückseite der Verpackung von Prozac die Aufforderung an die Konsumenten gerichtet: Beunruhige dich nicht, wenn du das Medikament lange einnimmst – Prozac erzeugt keine Sucht.
    Eingedenk der auf klinischen und epidemiologischen Beobachtungen beruhenden Annahme, dass alle Substanzen, die eine angenehme Wirkung ausüben, bei dazu bereiten Personen abhängige Tendenzen fördern und eventuell einen Suchtmechanismus in Gang setzen, erstaunt diese Behauptung. Kann man wirklich davon sprechen, dass die modernen Antidepressiva kein Suchtpotential haben,obwohl sie von bestimmten Personen gerne und über lange Zeit, eventuell in hoher Dosierung eingenommen werden?
    Zum einen führen die SSRI nicht zu einem Abhängigkeitssyndrom wie Alkohol, Kokain oder Opiate. Das ist ganz einfach daraus zu erklären, dass sie keine „Rauschdrogen“ sind, keinen „Kick“ vermitteln. Ganz offensichtlich führen die SSRI aber auch nur in seltenen Fällen zu einem vergleichbaren Abhängigkeitszustand wie Tabak oder Tranquilizer. In dem Zusammenhang wird gern behauptet, dass sie im Gegensatz zu diesen Stoffen keine Toleranz erzeugen. Das heißt, dass man im Allgemeinen nicht immer höhere Dosen von der Substanz zu sich nehmen muss, um den gewohnten und erwünschten Effekt zu verspüren. In bestimmten Fällen wurde jedoch Dosissteigerung beobachtet; dieses Phänomen wird in der Fachliteratur jedoch nicht als Toleranzentwicklung bezeichnet, sondern man spricht von einem „poop-out“-Phänomen.
    Andererseits spricht die Erfahrung dafür, dass bis zu zwei Drittel der Personen, die die Substanzen absetzen, in einem Zeitraum von zwei Wochen bis zu zwei Monaten nach dem Absetzen unangenehme Sensationen verspüren. Daher kommt es auch vor, dass manche Personen, die die Substanzen einige Monate lang genommen haben und dann Absetzprobleme haben, sich selbst als abhängig oder süchtig empfinden. Für diese Fälle hat sich jedoch die Konvention entwickelt, nicht von Entzugsbeschwerden sondern von einem Absetzsyndrom zu sprechen. Diese Sprachregelung geht auf ein Symposium zurück, das 1996 unter der Schirmherrschaft der Pharmafirma Eli Lilly veranstaltet worden war.
    Die Grundlage dieser Bezeichnung ist das Verständnis, dass die Depression als Krankheit des Gehirns wie jede andere körperliche Krankheit behandelt werden kann und soll, und dass Menschen, die an depressiven Verstimmungen leiden, ein SSRI in der gleichen Weise brauchen wie ein Zuckerkranker sein Insulin oder ein Mensch, der an einer Unterfunktion der Schilddrüse leidet, ein Schilddrüsenhormon. Diese Gleichsetzung bahnt den Weg für die Behauptung, dass die SSRI besonders gut verträglich sind, kaum

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