die Detektivin in Jeans
schwingen — wobei torkeln
vielleicht die richtigere Bezeichnung war.
Daß sie an diesem Morgen eine
halbe Stunde vor der Zeit die Augen aufschlug und auch noch hellwach zu sein
schien, hielt Sandra für ein schlechtes Zeichen.
Vermutlich hatte ihr bohrendes
Gewissen ihre Nachtruhe vorzeitig beendet.
Gestern abend war sie
zuversichtlich gewesen, sich mit Joschi versöhnen zu können. In der nüchternen
Helle des Morgens erschien es ihr nicht mehr so sicher, daß er ihr mit den
Matheaufgaben aushalf.
So kurz vor den Zeugnissen eine
Fünf in Mathe zu riskieren, wenn man bereits in Deutsch schlecht stand, war ein
dicker Hund, wie Sandra sich selbstanklägerisch eingestand. Vielleicht hätte
sie doch besser auf den Fernsehfilm verzichtet. Er hatte Überlänge gehabt, war
erst nach elf Uhr zu Ende gewesen, so daß sie vor Müdigkeit nicht einmal mehr
zum Durchlesen des Biotextes gekommen war. Und ihre Freundin Dorothee, auf die
sie in Notzeiten zurückgreifen konnte, wenn Sandras und Joschis Beziehungen
eingefroren waren, was gelegentlich vorkam, war vor einigen Monaten mit ihren
Eltern in eine andere Stadt verzogen.
Vielleicht sollte sie die
Schule schwänzen?
Doch mit welcher Begründung?
Ihre Mensis hatte sie gerade
erst gehabt. Und Faulfieber ließ ihre Mutter nicht gelten.
Sandra hörte ein Geräusch in
der Wohnung und setzte sich auf. Da war ja noch jemand vorzeitig aufgestanden!
Oder bereitete ihre Mutter das Frühstück? Früher, als Sandra und Rainer noch
kleiner waren, hatte sie das jeden Morgen getan.
Wenn sie um fünf Uhr früh von
der Nachtschicht heimkam, ging sie nicht zu Bett, sondern wirtschaftete leise
wie ein Wichtel in der Küche. Sie bügelte Wäsche, putzte Fenster, besserte
Kleider aus, putzte Gemüse und kochte das Mittagessen vor.
Um viertel nach sieben weckte
sie Sandra und Rainer. Und dann brauchten die Geschwister sich nur an den
gedeckten Tisch zu setzen. Das Brot war getoastet. Eier gekocht, Tee
aufgebrüht, und die Pausenbrote lagen eingewickelt neben ihren
Frühstücksbrettchen.
Erst wenn Sandra und Rainer aus
dem Haus gegangen waren, legte ihre Mutter sich schlafen.
Sandra seufzte, als sie daran
dachte. Eine schicke Sache war das gewesen.
Aber dann hatte ihre Mutter im
vorigen Jahr die Unterleibsoperation gehabt, von der sie sich nur langsam
erholte. Da hatte Rainer gemeint, Sandra und er seien jetzt alt genug, um sich
selbst zu versorgen. Und er schlug vor, daß ihre Mutter zu Bett gehe, wenn sie
von der Nachtschicht heimkam. Sandra hatte sich maulend gefügt.
Doch heute schien ihre Mutter
aufgeblieben zu sein! Vielleicht lag‚s am Wetter. Vielleicht konnten alle Leute
nicht schlafen. Prima! Sie würde ihre Mutter bitten, ihr die Matheaufgaben zu
erklären, um sie in der großen Pause in ihr Heft einzuschreiben. Mathe war erst
in der dritten Stunde dran.
Sie stand rasch auf.
Doch als sie in die Küche kam,
deckte Rainer den Tisch. Er stand am Schrank und holte die Tassen und
Unterteller heraus. „Wieso bist du schon auf?“ fragte sie ihn.
„Was willst du denn schon
hier?“ fragte er zurück und reckte sich nach dem Zuckerstreuer.
„Ist meine Uhr
stehengeblieben?“
„Weiß ich nicht.“
„Ich habe erst kurz nach halb
sieben.“
Rainer ging nicht näher darauf
ein, sondern sagte lediglich: „Geh ins Bad oder leg dich noch mal hin. Ich
mache dir dein Frühstück, und dann verschwinde ich.“
Sandra rieb ihren Rücken an der
Türverkleidung. „Weshalb? Weshalb gehst du so früh?“
Rainer stand immer noch am
Schrank mit dem Rücken zur Schwester. Er antwortete nicht.
„Was suchst du denn?“ fragte
Sandra.
„Nichts! Jetzt geh endlich ins
Bad!“ brüllte er mit dem Gesicht zwischen den offenen Schranktüren.
„He!“ Sandra ging zu ihm und
boxte ihn in die Seite. „Wohl übergeschnappt? Schrei mich nicht...“ Sie
unterbrach sich erschrocken, denn Rainer hielt sich mit einem Schreckenslaut
die Stelle, an der Sandra ihn getroffen hatte.
Sandra bückte sich unter seinem
Arm hindurch und blickte Rainer ins Gesicht. Was sie sah, entsetzte sie. „Rain!
Was ist passiert? Was hast du gemacht?“
Er hielt ihr den Mund zu. „Du
weckst Mutter auf!“
„Das ist ja schrecklich! Wie du
aussiehst! Dein Gesicht ist ja ganz blau und verschwollen“, jammerte Sandra
erstickt in seiner Handfläche.
„Sag bloß Mutter nichts.“
„Was darf eure Mutter nicht
wissen?“ fragte Frau Faber an der Küchentür.
Die Geschwister fuhren
erschrocken herum.
„Mein
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